Einleitungsrede
S. 733 I. Der heilige Apostel Paulus sagt in seinem ersten Briefe an die Thessaloniker: „Tag und Nacht flehen wir, daß wir euch wieder sehen,“1 und an einer andern Stelle: „Wir konnten es nicht länger ertragen, sondern blieben allein in Athen zurück,“ und wiederum: „Ich schickte den Timotheus zu euch.“ Durch alle diese Äußerungen gibt er sein sehnliches Verlangen kund, mit ihnen wieder einmal in persönlichen Verkehr zu treten. Da er aber vielleicht nicht gleich abkommen und Das, was ihnen bezüglich ihres Glaubens noch abging, ergänzen konnte, so verfaßte er diesen seinen zweiten Brief an die Thessaloniker, um schriftlich nachzuholen, was er mündlich nicht thun konnte. Denn daß er von Athen nicht fortgekommen sei, können wir daraus schließen, daß er sagt: „Was aber die Ankunft unsers Herrn Jesu Christi betrifft, so bitten wir euch.“2 Im ersten Briefe hatte er nämlich geschrieben: „Daß ich euch über die Zeit und die Umstände schreibe, ist nicht S. 734 nothwendig.“3 Wäre er also unterdessen bei ihnen gewesen, so hätte er sie über diese Punkte nicht jetzt schriftlich belehren müssen. Weil er aber bei seiner persönlichen Anwesenheit die Belehrung über diesen schwierigen Punkt aufgeschoben hatte, darum läßt er jetzt diesen Brief folgen, ähnlich wie er auch an Timotheus schreibt: „Gewisse Leute wollen Manche in ihrem Glauben irre machen, indem sie behaupten, die Auferstehung habe schon stattgefunden.“4 Dieses thaten sie aber in der Absicht, den Gläubigen den Muth zur Ertragung von Drangsalen zu nehmen, da sie ja keine Hoffnung mehr hätten auf eine reiche und herrliche Vergeltung. Denn die Hoffnung war es ja, welche die Gläubigen aufrecht erhielt und sie in den Drangsalen der Gegenwart nicht unterliegen ließ. Und weil nun der böse Feind, der den Gläubigen die Hoffnung wie ein Ankertau abschneiden wollte, sie nicht zu überreden vermochte, daß die Verheißungen Lügen seien, schlug er einen andern Weg ein, um zum Ziele zu gelangen. Er sendete nämlich ruchlose Menschen aus, welche die Gläubigen zu dem Wahne verleiten sollten, die großen und herrlichen Verheißungen seien schon erfüllt. Bald behaupteten sie, die Auferstehung habe schon stattgefunden; dann verkündeten sie wieder, das Gericht und die Ankunft Christi stehe bevor. Damit bezweckten sie, einerseits Christus selbst der Lüge zu überführen, andrerseits durch die Vorspiegelung es gebe keine Vergeltung mehr und kein Gericht, keine Züchtigung, keine Strafe mehr für die Übelthäter, diese nur noch kecker, die Guten aber muthlos zu machen. Das Schlimmste aber war, daß manche Personen angebliche Aussprüche des hl. Paulus in Umlauf brachten, Andere sogar Briefe verfaßten, welche sie als paulinische ausgaben. Damit nun derlei Dinge keinen Eingang fänden bei den Gläubigen, schreibt der Apostel: „Lasset euch nicht irre S. 735 machen weder durch einen Geist, noch durch Äußerungen oder Briefe, die man für die meinigen ausgibt!“5 Mit dem Ausdrucke „Geist“ meint er die falschen Propheten.
Wie sollen wir nun unterscheiden? Diese Frage stellt gleichsam der Apostel und beantwortet sie auch gleich im Folgenden, wenn er sagt: „Der Gruß ist von mir, dem Paulus, eigenhändig geschrieben. Und das ist das sichere Erkennungszeichen eines jeden Briefes. So schreibe ich: „Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi sei mit euch allen!“6 Der Apostel sagt nicht: „Das ist das Zeichen;“ denn ein solches Zeichen hätte man vielleicht nachmachen können, sondern er sagt: „Den Gruß schreibe ich mit eigener Hand.“ So pflegt man es auch bei uns zu halten, denn aus der Unterschrift erkennt man den Absender eines Briefes.