VI.
Was ist erbärmlicher als diese Lächerlichkeit und dieser Spott? Gibt es eine größere Unordnung? Erröthet und schämt euch! Wenn ihr aber auch nicht wollt, - wir lassen solche verderbliche Gewohnheiten in der Kirche nicht aufkommen; denn es heißt: „Die Fehlenden weise vor Allen zurecht!“1 Jenen elenden und unseligen Weibern aber verbieten wir durch euch, sich je wieder bei den Begräbnissen der Gläubigen einzufinden, damit wir sie nicht zwingen müssen, ihr eigenes Unglück zu beweinen. sondern sie vielmehr dahin zu vermögen, nicht in fremden Angelegenheiten also zu handeln, sondern ihre eigenen Unfälle zu beklagen. Ist ja auch ein zärtlich liebender Vater, der einen ausschweifenden Sohn hat, darauf bedacht, nicht nur ihn vor der Gesellschaft der Bösen zu warnen, sondern auch diese ferne zu halten. Sehet also, so empfanget ihr und Jene durch euch die Warnung: ihr zwar, daß ihr solche Personen nicht mehr herbeiruft, und Diese, daß sie sich nicht mehr einfinden. Mög’ es geschehen, daß das Wort seine Wirkung nicht verfehle und die Drohung nicht umsonst sei; sollten wir aber wider Erwarten Verachtung finden, dann werden wir genöthiget sein, die Drohung zu verwirklichen und euch nach den Kirchengesetzen, Jene aber, wie es ihnen zukommt, zu strafen. Sollte aber Einer frech widerstreben, S. 83 der vernehme das Wort Christi, welcher auch jetzt noch spricht: „Hat aber dein Bruder wider dich gesündigt, so gehe hin und verweise es ihm zwischen dir und ihm allein! Gibt er dir aber kein Gehör, so nimm noch Einen oder Zwei zu dir; hört er aber auch Diese nicht, so sage es der Kirche; wenn er aber auch die Kirche nicht hört, so sei er dir wie ein Heide und öffentlicher Sünder!“2 Wenn er nun Denjenigen, welcher durch Ungehorsam gegen mich sich verfehlt, so zu meiden befiehlt, dann möget ihr nun selber entscheiden, wie ich Den zu behandeln verpflichtet bin, welcher gegen sich selbst und gegen Gott sich verfehlt. Ihr aber verurtheilet mich, weil ich euch nicht mit schonender Milde behandle.3 Wenn aber Jemand die Bindegewalt, die wir besitzen, gering achten wollte, der lasse sich wieder von Christus belehren mit den Worten: „Was ihr binden werdet auf Erden, Das soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr lösen werdet auf Erden, Das soll auch im Himmel gelöset sein.“4 Denn sind auch wir elend und Nichts und der Geringschätzung werth, wie wir es wirklich nicht besser verdienen, so suchen wir doch keine Rache, geben dem Zorn nicht Raum, sondern eifern nur für das Heil euerer Seele. Ich bitte: erröthet und schämt euch! Denn wenn schon Jemand einen Freund, der über Gebühr Vorwürfe spendet, unter Berücksichtigung der guten Absicht, und weil er wohlgesinnt und ohne Anmaßung handelt, geduldig erträgt, so müßt ihr um so mehr einen Lehrer, der sich tadelnd ausspricht, und zwar einen Lehrer, der nicht mit Selbstgefühl, nicht wie ein gebietender Herr, sondern wie ein fürsorglicher Vater seine Worte vorbringt, in Liebe ertragen. Wir sagen Das nicht in der Absicht, unsere Macht zu zeigen; denn wir wollen ja gar nicht, daß ihr diese aus S. 84 Erfahrung erprobet, sondern sagen es aus Schmerz und Betrübniß. Nun so habet denn Nachsicht und verachtet nicht die kirchliche Bindegewalt. Denn nicht ein Mensch ist es, der bindet, sondern Christus, welcher uns diese Macht verlieh und Menschen zu Inhabern einer so großen Ehre erhob. Wir wünschen, daß diese Macht für uns nur eine Lösegewalt sei, oder vielmehr unser Verlangen ist es, dieselbe nie gebrauchen zu müssen; denn wir wünschen, daß bei uns Niemand unter dem Banne lebe. Wenn wir auch gar Nichts sind, so elend und armselig sind wir denn doch nicht. Sollte man uns aber zu dieser Maßregel zwingen, so habet Nachsicht; denn wir binden nicht gerne und willig, sondern empfinden dabei einen größeren Schmerz als ihr, die Gebundenen selbst. Sollte aber Jemand diese Bande verachten, so wird der Tag des Gerichtes erscheinen, der ihn dann darüber belehrt. Das Übrige will ich nicht weiter besprechen, um euer Herz nicht zu verwunden. Zuerst beten wir, daß wir nicht genöthiget werden; sollte es aber nothwendig sein, dann erfüllen wir unsere Pflicht und sprechen den Bann aus. Bricht nun Jemand denselben, so habe ich das Meinige gethan und bin von der Rechenschaft frei; du aber hast es dann mit Dem zu thun, der mir den Befehl gab, zu binden. Denn wenn ein König zu Gericht sitzen und einem Soldaten der Leibwache den Befehl geben würde, irgend Einen aus der Cohorte zu binden und in Fessel zu legen, Dieser aber den Beauftragten nicht nur von sich schlüge, sondern auch die Fessel zerbräche: so wäre es nicht so sehr der dienstthuende Soldat, welcher den Übermuth erduldet, als vielmehr der König, welcher den Befehl ertheilt hat. Wenn Gott Das, was gegen die Gläubigen geschieht, so ausnimmt, als würde es ihm selber zugefügt, um wie viel mehr wird er, wolltet ihr die mit dem Lehramte Betrauten übermüthig verletzen, sich selbst auf solche Art verletzt halten? Möge doch Keiner von dieser Kirche in den Fall kommen, diese Bindegewalt an sich erfahren zu müssen! Denn wie es schön ist, nicht zu sündigen, so ist es ersprießlich, Tadel hinzunehmen. Ertragen wir also die S. 85 Rüge und geben wir uns Mühe, keine Sünde zu begehen; haben wir aber gefehlt, dann wollen wir auch den Tadel hinnehmen. Denn wie es gut ist, nicht verwundet zu werden, wenn Dieß aber geschieht, ein auf die Wunde gelegtes Heilmittel zweckdienlich ist, so ist es auch hier. Aber möge es doch nie geschehen, daß solche Heilmittel gebraucht werden müssen. „Von euch aber versehen wir uns Besseres, und was auf das Heil abzielt, obgleich wir so reden.“5 Wir haben aber so entschieden gesprochen, damit ihr um so sicherer seid. Denn es ist besser, daß ich von euch als kühn, hart und anmaßend beargwohnt werde, als daß ihr thut, was Gott nicht gefällt. Wir vertrauen auf Gott, daß diese Strafrede für euch nicht ohne Nutzen sein werde, sondern daß ihr euch so umändern werdet, daß diese Worte als eine Lobrede für euch gelten können und zu euerer Ehre gereichen. Möchten wir doch nach Gottes Wohlgefallen unser Leben einrichten, damit wir alle gewürdiget werden, der Güter theilhaftig zu werden, die Gott Denen verheissen hat, die ihn lieben, in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen. S. 86