§ 6.
Weil du aber bei einer andern Gelegenheit brieflich von mir erfahren wolltest, was ich eigentlich mit den Worten: „Sein-an-sich, Leben-an-sich, Weisheit-an-sich“ sagen wollte, und weil du bemerktest, mit dir selbst nicht ins reine zu kommen, wie ich Gott bald „Leben-an-sich“, bald wieder den „Urheber des Lebens-an-sich“ nenne (DN. V 5), so erachte ich es für nötig, heiliger Gottesmann, dich auch von diesem Bedenken, soweit es an mir liegt, zu befreien. Fürs erste nun ist es, um tausendmal Gesagtes auch jetzt zu wiederholen, kein Widerspruch, Gott Macht-an-sich und Leben-an-sich und zugleich den Urheber des Lebens-an-sich oder des Friedens-an-sich oder der Macht-an-sich zu nennen. Denn die eine Benennung hat er von dem Seienden und vorzüglich von dem in erster Linie Seienden, weil er die Ursache von allem Seienden ist, die andere dagegen aus dem Grunde, weil er überwesentlich über alles Seiende, auch über das in erster Linie Seiende erhaben ist. Was wollen wir aber, sagst du, mit den Ausdrücken besagen: Sein-an-sich, Leben-an-sich, oder was wir sonst als absolutes und ursprüngliches Sein statuieren, das in erster Abstufung (direkt) von Gott aus seine Subsistenz hat? Das nun ist nach unserer Überzeugung keineswegs eine S. 146 verwickelte Frage, sondern derartig, daß sie eine direkte und einfache Lösung zuläßt. Denn wir behaupten nicht, daß das Sein-an-sich als die Ursache alles Seienden irgendeine göttliche oder engelhafte Wesenheit sei (denn nur der über Wesenheit Erhabene ist Prinzip, Wesenheit und Ursache, daß alles Seiende und das Sein-an-sich ein Sein hat), noch wollen wir irgendeine andere lebenzeugende Gottheit annehmen neben dem übergöttlichen Leben, welches Ursache aller Lebewesen und des Lebens-an-sich ist, noch wollen wir, daß es, um es kurz zu sagen, ursprüngliche und schaffende Wesen und Hypostasen gebe, welche einige sogar in oberflächlicher Rede auch Götter und Bildner des Weltalls genannt haben. Aber weder sie noch ihre Väter wußten, um wahr und richtig zu sprechen, daß jene nicht existieren. Wir sagen vielmehr, Sein-an-sich, Leben-an-sich und Gottheit-an-sich sei in ursprunghafter, göttlicher und verursachender Weise der eine überursprüngliche und überwesentliche Urquell und Ursprung von allem. Im Sinne der Mitteilung aber nennen wir die von Gott, dem Unmittelbaren, ausstrahlenden fürsorglichen Kräfte Wesengebung-an-sich, Belebung-an-sich, Vergöttlichung-an-sich, woran die Dinge ihrer Natur entsprechend teilnehmen, so daß sie existierend, lebendig und göttlich sind und heißen, und so auch hinsichtlich der andern Bezeichnungen. Daher wird von Gott gesagt, daß er der gute, Bestand verleihende Träger jener ersten Prinzipien ist, sei es in ihrer Gesamtheit oder in den einzelnen, sei es, daß sie im ganzen Umfange oder sei es, daß sie nur teilweise teilnehmen. Indessen, was braucht es hierüber noch Worte? Nennen doch hier einige von unsern geistlichen Lehrern den Überguten und Übergöttlichen den Träger der Güte-an-sich und der Gottheit, indem sie erklären, Güte-an-sich und Gottheit sei die gutmachende und vergottende, aus Gott hervorgetretene Gabe, und das Schöne-an-sich sei die schönmachende Ergießung-an-sich und das Gesamtschöne und das partikuläre S. 148 Schöne und das im ganzen Umfang und das nur teilweise Schöne, und was sonst immer auf dieselbe Weise gesagt worden oder noch gesagt werden wird — alles, was da sind Offenbarungen der den Dingen gewährten Mitteilungen der Fürsorge und Güte, aus Gott, dem Un-mitteilbaren, in reichster Ergießung hervorgehend und ausströmend, damit der Urheber von allem vollkommen über allen Dingen sei und das Überwesentliche und Übernatürliche alles, was irgendwelche Wesenheit und Natur besitzt, in aller Hinsicht übertreffe.1 S. 149
Über die Anfügung dieser Aporie und Lösung vgl. Koch 17 f. ↩
