XLVII. Kapitel: Manche werden, damit sie sich in der Todesstunde nicht fürchten, durch eine Offenbarung gestärkt; von den Mönchen Antonius, Merulus und Johannes1
Gregorius. Zu Zeiten stärkt indes der allmächtige Gott die Seelen der Furchtsamen zuvor durch Offenbarungen, damit sie sich beim Sterben nicht fürchten sollen. So lebte gleichzeitig mit mir im Kloster ein Bruder namens Antonius, der unter vielen Tränen Tag für Tag sich nach den Freuden des himmlischen Vaterlandes sehnte. Wenn er eifrig und sehnsüchtig die Worte der Heiligen Schrift betrachtete, suchte er darin nicht wissenschaftliche Belehrung, sondern Reuetränen, um dadurch sein Gemüt anzuregen und zu entflammen, S. 256 damit es das Niedrige vergesse und durch die Beschauung in die Wohnungen des himmlischen Vaterlandes sich emporhebe. Diesem Bruder wurde in einem nächtlichen Gesichte gesagt: „Sei bereit, der Herr hat es befohlen, ziehe von dannen!” Als er sagte, er habe kein Reisegeld, hörte er die Antwort: „Was deine Sünden betrifft, so sind sie dir vergeben.” Da er nach einem einmaligen Vernehmen dieser Worte sich noch sehr fürchtete und zagte, wurde er in einer andern Nacht mit denselben Worten gemahnt. Fünf Tage darauf ergriff ihn das Fieber und er starb, während die Brüder alle beteten und weinten.
Ein anderer Bruder in demselben Kloster hieß Merulus, der betete und weinte gar viel; nie verstummte der Psalmengesang in seinem Munde, außer wenn er sich Speise oder Schlaf gönnte. Dieser hatte eines Nachts eine Erscheinung, als ob ein Kranz aus weißen Blumen sich vom Himmel auf sein Haupt herniederlassen würde. Bald darauf erkrankte er und starb in großer Ruhe und Heiterkeit der Seele. Als nach vierzehn Jahren Petrus, der gegenwärtige Vorsteher dieses Klosters für sich neben seinem Grabe einen Ort zum Begräbnis zurichten lassen wollte, strömte nach dessen Versicherung ein solcher Wohlgeruch aus dem Grabe, als ob dort alle Blumenwohlgerüche vereinigt gewesen wären. Daraus ergab sich klar, wie wahr das nächtliche Gesicht gewesen war.
In demselben Kloster lebte ein gewisser Johannes, ein hochbegabter Jüngling, dessen Verstand, Demut, Sanftmut und Ernst weit über seine Jahre hinausgingen. Als er erkrankte und zum Sterben kam, erschien ihm nachts ein Greis, der ihn mit einem Stabe berührte und sprach: „Stehe auf; denn an dieser Krankheit wirst du jetzt nicht sterben. Aber sei bereit; denn lange ist hier deines Verweilens nicht mehr!” Obgleich von den Ärzten bereits aufgegeben, wurde er plötzlich gesund und kam wieder zu Kräften. Er erzählte, was er gesehen, und diente Gott noch zwei Jahre wie gesagt in einer Weise, die seine S. 257 Jahre weit überragte. Vor drei Jahren nun starb ein Bruder und wurde von uns in der Begräbnisstätte des Klosters beigesetzt; wir alle verließen darnach die Stätte, nur Johannes blieb, wie er nachher selbst bleich und zitternd uns erzählte, noch zurück; da rief ihn der verstorbene Bruder aus dem Grabe heraus an. Dies bewies auch sein bald folgendes Ende. Denn nach zehn Tagen ergriff ihn ein Fieber und brachte ihm den Tod.
Petrus. Ich bitte dich, belehre mich darüber, ob man auf nächtliche Gesichte etwas halten muß.
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Martyrol. 17. Januar ↩