Traktat XLV. Am Ostersonntag. I.1
Der Erbe der Zeiten, der ewige Tag ist aufgeleuchtet: der Tag, der in raschem Lauf vorwärts und rückwärts eilt, der um das festliche Endziel2 sich dreht und sich zu sich selbst zurückwendet, der damit aus seinem Ende wieder einen Anfang, aus seinem Untergang wieder einen Geburtstag in endloser Reihe sich schafft. Mit ihm ist die Traurigkeit des Winters abgeschüttelt, Frühlingswind weht kosend von Westen, Blumen, verschieden an Art und Farbe wie Geruch, sind ausgebreitet aus einer Geburt, und allenthalben strömen die grünenden Wiesen ihren süßen Duft aus. Dann steigt jubelnd der Sommer auf, jung, doch reich, er, der die ährenreichen Garben zum Segen ausdrischt zu verschiedenen Haufen von Getreide. Ihm folgt gut passend der mostreiche Herbst, damit, wie es notwendig ist, sich mit der Segensgabe S. 306 des Brotes verbinde die Wonne des Weines, Wer sieht nicht, daß das alles paßt zu den himmlischen Geheimnissen? Denn der träge, schmutzige, traurige Winter hat Bezug auf diejenigen, die dem Götzendienste huldigen, gefesselt sind durch Bande weltlicher Vergnügungen, sich der Fleisches- und Gaumenlust hingeben und damit von Gott für die lange Nacht,3 das heißt für den ewigen Tod bestimmt sind, weil sie das Werk der Finsternis geliebt. Unter dem Frühling müssen wir den heiligen Tauf quell verstehen: aus seinem fruchtbaren Schöße erstehen, allerdings nicht vom Winde von West, sondern vom Heiligen Geist gesät, verschieden an Gnade, aber eins in der Geburt, die herrlichsten Blüten der Kirche, die in ihrem seligmachenden Glauben göttlichen Duft ausströmen, nämlich unsere süßen Taufkinder, Der Sommer aber ist das gläubige Volk, engelhaft4 und rein; es hält unentwegt an der Palme seines Taufbekenntnisses fest und sucht, von der Spreu der Sünden gereinigt, sich selbst als kostbares Getreide in die Scheuern Gottes einzubringen; ist es auch schon fruchtbar durch seinen Taufquell, so glüht es doch auch allezeit im Eifer für entsprechende Mitarbeit, Der Herbst ist die Stätte des Martyriums, Darin wird nicht das Blut des Weinstockes, sondern dessen, der ihn eingegraben, vergossen: aber durch die Weinlese des kostbaren Todes wird das ewige Leben erworben. Der Tag selbst aber steht in Beziehung zur Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus, der alles in allem ist. Er ist der Tag, der in Ewigkeit dauert und keine Nacht hat. Ihm dienen die zwölf Stunden in den Aposteln, die zwölf Monate in den Propheten, Ihn verkündigen die vier heilbringenden Jahreszeiten der Evangelien, Ihm entsprechen Früchte, aber nicht solche, die S. 307 nur einmal im Jahre, sondern solche, die täglich reifen, Sie sind ein Lobgesang für Gott aus den gläubigen Völkern, die aus jedem Samen der Unsterblichkeit hervorgehen in Ewigkeit, Und im Lichte dieses Tages wollen auch wir ausschreiten, wollen jubeln im Glauben, uns wohlgefällig machen durch einen guten Wandel, damit wir verdienen, das ewige Leben zu erlangen: durch Jesus Christus den Herrn.
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Die Rheimser Handschrift wies zu diesem Traktat folgende Randbemerkung auf: Recitanda in conventu a diacono ipso die paschatis coram ipso pontifice, postquam ipse cum diaconibus a cubiculo descenderit et sederit porrectis secun-dum morem malis cum pace praestita, dicente pontifice: Sur-rexit Christus. R(espondentibus) aliis: Et ill (uxit nobis). Die Ballerini schlössen in ihrer Ausgabe aus dem „in conventu„, daß diese Zeremonie sich nicht in der Kathedrale, sondern im Kloster vollzogen habe, und glaubten nach der Bemerkung „porrectis secundum morem malis“, daß dabei mit dem Friedenskuß eine Verteilung von Äpfeln stattgefunden habe, als ein Gebrauch lokaler Natur. Aber Giuliari hat in seiner Ausgabe auf die Bemerkung eines früheren Zenoforschers Giro-lamo a Prato hingewiesen, wonach mala = gena = Wange zu deuten ist, und die Bemerkung besagt, daß der Bischof wie gewöhnlich (auch nach dem heutigen Missale) die Wangen zum Friedenskusse reichte, der mit den Worten verbunden war: Surrexit Christus. Und nach allem zu schließen, fand auch die Lesung nicht im Kloster, sondern in der Kathedrale vor dem versammelten Klerus (in conventu) statt. ↩
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Solenni meta rotatus in sese; ein Bild, von der Spitzsäule in der Rennbahn entnommen, das in dieser Form in den folgenden Traktaten noch öfters wiederkehrt. ↩
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Nach der glücklichen Emendation Giuliaris: longae nocti, id est aeternae morti, sunt … destinati (Ballerini: longe moliti, id est aeternae morti; einige Handschriften lesen: longe inoliti). ↩
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Nach der Lesart der Ballerini: angelicus et mundus (Giuliari: agilis et mundus). ↩