6.
Freilich — du wirst sagen: Es ist doch gerecht, wenn ich mein Eigentum wahre, wenn ich nur Fremdes nicht begehre. So pflegten auch die Heiden zu sprechen. Wie das aber in den Augen Gottes Ungerechtigkeit ist, werden wir gleich sehen. Vor allem, mein lieber Christ, möchte ich wissen, was denn dein Eigentum ist, nachdem doch für diejenigen, die Gott fürchten, alles gemeinsam ist? Es steht doch geschrieben: „Die Menge derjenigen, die gläubig geworden, waren ein Herz und eine Seele.„ Und es war unter ihnen kein Unterschied; S. 89 „und sie nannten nichts von ihrem Besitztum ihr eigen, vielmehr gehörte ihnen alles gemeinsam;“1 so wie gemeinsam sind der Tag und die Sonne, die Nacht und der Regen, Geburt und Tod: Dinge, die ohne irgendeine Ausnahme einer Person für die ganze Menschheit gleichmäßig von der göttlichen Gerechtigkeit verteilt sind.2 Unter solchen Verhältnissen ist ein Mensch, der für sich allein hat, was zum Besten von vielen dienen kann, ohne Zweifel einem Tyrannen nicht unähnlich. Was soll man dazu sagen: Während tagtäglich ein armer Teufel an Bedrückung, Hunger, Ungerechtigkeit zugrunde geht, liebäugelst du mit deinem Gold, hütest dein Silber, betrachtest dein kostbares Kleid, deinen prunkenden und überflüssigen Schmuck als eine hochheilige Sache, sozusagen wie ein Götterbild! Zuweilen richtest du dich damit zurecht, reich in der Öffentlichkeit, reicher noch in deinem stillen Kämmerlein; und es kommt dir dabei nicht zum Bewußtsein, daß ein Mensch, der einem sterbenden Mitmenschen nicht zu Hilfe kommt, trotzdem er es mit solchen Mitteln könnte, geradezu selbst als dessen Mörder erscheint, O wie oftmals knüpft sich an das Geschmeide einer schmuckbeladenen Dame der Mord eines Menschenlebens! Wenn du eines ihrer Schmuckstücke in Geld umsetzest und dasselbe unter einzelne zur Linderung der Not verteilst, so wirst du an ihrem erleichterten Aufatmen erkennen, wie viele es sind, mit deren Armut solcher Schmuck erkauft ist!
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Apg. 4,32. ↩
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Vgl. Cyprian, De opere et eleemosynis c. 25. Zu der ganzen Frage: A. Bigelmair, Zur Frage des Sozialismus und Kommunismus im Christentum der ersten drei Jahrhunderte. In: Beiträge zur Geschichte des christlichen Altertums und der Byzantinischen Literatur. Festgabe Albert Ehrhard, herausgegeben von A. M. Koeniger, Bonn und Leipzig 1922, S. 73—93. ↩