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Bibliothek der Kirchenväter
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Œuvres Jean Cassien (360-435) Von den Einrichtungen der Klöster (BKV)
Sechstes Buch: Von dem Geiste der Unreinheit.

4. Welcher Unterschied ist zwischen der Keuschheit und Enthaltsamkeit, und ist man stets im Besitze von beiden?

Indessen komme Niemand auf den Gedanken, wir wollten in Abrede stellen, daß auch die in Gemeinschaft lebenden Brüder als enthaltsam befunden werden könnten. Dieß S. 137 räumen wir sehr gerne ein. Denn etwas Anderes ist es, enthaltsam, d. i. εγκρατής [enkratēs], etwas Anderes, keusch zu sein und, um mich so auszudrücken, sich in eine unversehrte und unverdorbene Gesinnung zu versetzen, was man mit ἁγνός [hagnos] bezeichnet. Diese Tugend wird meistens nur Jenen zugeschrieben, die der Gesinnung wie dem Fleische nach jungfräulich sind, wie es beide Johannes im neuen Testament und im alten Elias, Jeremias und Daniel bekanntlich gewesen sind. Auf gleiche Stufe mit ihnen werden nicht mit Unrecht auch Jene gestellt, die wohl ihre Jungfräulichkeit eingebüßt, jedoch zu einem ähnlichen Stande der Reinheit vermittelst rastloser Mühe und Anstrengung durch die Reinheit ihres Leibes und ihrer Seele gelangt sind und den Stachel ihres Fleisches nicht so sehr durch die Bekämpfung der schändlichen Lust, als nur durch die natürliche Regung fühlen. Dieser Stand, sage ich, wird am schwersten von den gewöhnlichen Menschen begriffen. Ob er aber auch unmöglich sei, das erwarte Niemand aus meinen Worten entnehmen zu können, sondern erforsche es aus der Prüfung seines eigenen Gewissens. Uebrigens gibt es zweifelsohne viele Enthaltsame, welche die Anfechtung des Fleisches theils selten, theils täglich auszuhalten haben, sie aber dennoch, sei es durch Furcht vor der Hölle, sei es aus Verlangen nach dem Himmel unterdrücken und bezwingen. Solche Leute, sagen die Oberen, könnten wohl von den Lockungen des Lasters nicht ganz gefangen werden, vermöchten jedoch nicht immer unverwundbar und sicher dazustehen. Denn es muß ein Jeder, der im Kampfe steht, so oft er auch seinen Gegner besiegt und überwindet, doch auch einmal in’s Gedränge kommen.

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