13.
Wenn du aber denjenigen glücklich schätzest, der auf seinem Lebenswege sich frei von Schuld hält und nach Gottes Gesetz wandelt, dann suche aus dem folgenden die Bedeutung dieser Worte zu erfassen. S. 485 Aus vielen Zeugnissen, die ich früher vorgebracht habe, konntest du ersehen, daß niemand das Gesetz erfüllen konnte. Wenn aber der Apostel das, was er früher im Gesetze als Gewinn betrachtete, im Vergleich zur Gnade Christi wie Schmutz mißachtete, um Christus zu gewinnen1, um wieviel mehr müßten wir nicht wissen, daß darum die Gnade Christi und des Evangeliums in die Erscheinung trat, weil im Gesetze niemand gerechtfertigt werden konnte? Wenn aber keiner im Gesetze gerechtfertigt wird, wie kann der bis zur Vollkommenheit schuldlos auf seinem Lebenswege sein, der noch dahinwandert und das Ziel zu erreichen sich beeilt? Sicherlich steht derjenige, der noch im Laufe begriffen, der noch unterwegs ist, hinter demjenigen zurück, der am Ziele angelangt ist. Wenn also derjenige schon fehlerlos und bereits vollkommen ist, der noch den Wanderstab führt und im Gesetze einherschreitet, was hat dann der voraus, der bereits am Ende des Weges und des Gesetzes angekommen ist? Darum berichtet auch der Apostel, daß der Herr erst am Ende der Welt, wenn alle Tugenden in ihrer Vollendung sich verwirklichen, für sich eine heilige Kirche erstehen läßt, die weder Makel noch Runzel hat2, während ihr glaubt, sie sei schon in diesem sterblichen und vergänglichen Fleisch vollkommen. Ihr verdient, mit den Korinthern die Worte zu vernehmen: „Ihr seid schon vollkommen, ihr seid schon reich geworden und herrschet ohne uns. O möchtet ihr doch herrschen, damit auch wir mit euch herrschen“3, während doch die wahre, von jeder Trübung freie Vollkommenheit den Himmelsbewohnern vorbehalten worden ist für die Zeit, in welcher der Bräutigam zur Braut sprechen wird: „Gar schön bist du, meine Freundin, und keine Makel ist an dir“4. In diesem Sinne ist auch jenes andere Wort zu verstehen: „Seiet tadellos und lauter wie unsträfliche Söhne Gottes!5 Wenn der Apostel die Form „seiet“, nicht „ihr S. 486 seid“ gebraucht, so verweist er auf die Zukunft und bestreitet die Gültigkeit der Aufforderung bezüglich der Gegenwart, so daß hier Arbeit und Anstrengung zu leisten, dort aber der Lohn für die Mühe und Tugendübung in Empfang zu nehmen sind. Zuletzt schreibt noch Johannes: „Geliebteste, wir sind Kinder Gottes. Es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen, daß wir ihm, wenn er sich offenbart, ähnlich sein werden; denn wir werden ihn schauen, wie er ist“6. Wenn wir also auch Kinder Gottes sind, so wird uns doch die Verähnlichung mit Gott und seine Anschauung erst für jene Zeit versprochen, in welcher er in seiner Herrlichkeit erscheint.