Fünfter Artikel. Die Liebe an sich ist keine Leidenschaft, welche den Liebenden beschädigt.
a) Die Liebe scheint eine dem Liebenden nachteilige Leidenschaft zu sein. Denn: I. „Hinschmachten“ ist eine Schädigung des Verschmachtenden. Hohel. 2. aber heißt es: „Streuet mir unter zur Stütze Rosen, haltet mich aufrecht mit Äpfeln; denn ich verschmachte vor Liebe.“ II. „Zerfließen“ heißt ebensoviel als Auflösung. Dies verursacht aber die Liebe nach Hohel. 5.: „Zerflossen ist meine Seele, da mein Geliebter gesprochen hat.“ III. Die „Glut“ ist ein Übermaß der Wärme und gereicht zum Verderben. Die Glut aber wird verursacht von der Liebe, wie Dionysius (de coel. hier. 7.) bei der Beschreibung der Seraphim sagt, „ihre Liebe sei warm, brennend und überaus glühend;“ und Hohel. 8. heißt es von der Liebe, „ihre Leuchten seien Feuer- und Flammenleuchten.“ Auf der anderen Seite schreibt Dionysius (4 de div. nom.): „Jedes Wesen liebt sich selbst und erhält sich dadurch;“ also schädigt die Liebe nicht.
b) Ich antworte, die Liebe bezeichne, daß das Begehren einem gewissen Gute angepaßt sei. Nichts aber, was dem angepaßt ist, was ihm in seiner Natur entsprechend zukömmlich ist, wird von da her beschädigt, sondern vielmehr vollendet und wird besser. Wird aber etwas dem angepaßt, was nicht seiner Natur nach ihm zukömmlich ist, so wird es von da her beschädigt und schlechter. Die Liebe zum zukömmlichen Guten also ist die Vollendung des Liebenden; die Liebe zum nicht zukömmlichen Guten aber ist schädigend und verderblich für den Liebenden. Durch die Liebe zu Gott wird sonach der Mensch im höchsten Grade vollendet und besser; durch die Liebe zur Sünde schlechter und verderbter nach Ose. 9.: „Abscheulich sind sie geworden wie das, was sie geliebt haben.“ Dies nun gilt von der Liebe, insoweit das bestimmende maßgebende Moment darin in Betracht gezogen wird; das Formale nämlich vom Begehren selber aus. Wird aber berücksichtigt, was in der Leidenschaft der Liebe das bestimmbare Moment darstellt, nämlich die körperliche Veränderung, so trifft es sich, daß die Liebe manchmal schädigend ist auf Grund des Übermaßes der Veränderung; wie dies der Fall ist beim Sinne und bei jeder Seelenthätigkeit, welche sich vollzieht vermittelst der Veränderung eines körperlichen Organs kraft des Einflusses, den der Gegenstand auf dieses letztere ausübt.
c) Was die Einwürfe betrifft, so können der Liebe vier unmittelbar ihr folgende Wirkungen zugeschrieben werden: nämlich das Zerfließen, das Genießen, das Hinschmachten, das Glühen. Das „Zerfließen“ ist die erste Wirkung. Sie steht entgegen dem „Zu-Eis-Werden“. Was nämlich zu Eis geworden, ist in sich selber zusammengezogen; und nicht leicht kann etwas Fremdes da hineintreten. Zur Liebe aber gehört es, daß das Begehren angepaßt werde für den Eintritt des geliebten Gutes, soweit das Geliebte im Liebenden ist. Also die eisige Kälte und die Härte desHerzens ist eine Verfassung, die dem Lieben entgegensteht. Das Zerfließem aber schließt eine gewisse Weichheit des Herzens ein, kraft deren das Herz. sich als geeignet darbietet dafür, daß das geliebte Gut eintrete. Ist nun das letztere gegenwärtig und besessen, so wird verursacht das „Genießen“; — ist es abwesend, so folgen zwei Leidenschaften:
a) Die Trauer über die Abwesenheit oder das „Hinschmachten“ (weshalb Cicero zumal die Trauer als Krankheit ansieht 3. ^usoui.);
b) das heftig angespannte Verlangen nach dem Besitze des Geliebten, was mit „Glühen“ bezeichnet wird. Und diese Wirkungen nun folgen der Liebe von der formalen Seite des Begehrens, nämlich von der Beziehung zum Gegenstande aus. Soweit aber die Veränderung des körperlichen Organs in Betracht kommt, also das Materiale, Bestimmbare, folgen andere Wirkungen./