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Œuvres Thomas d'Aquin (1225-1274) Summe der Theologie
Secunda Pars Secundae Partis
Quaestio 58

Zwölfter Artikel. Die Gerechtigkeit ist unter den moralischen Tugenden eine hervorragende.

a) Dem steht entgegen: I. Die Gerechtigkeit giebt dem anderen, was diesem gehört; die Freigebigkeit aber, was der eigenen Person gehört. Also ist Letzteres tugendhafter. II. Die Hochherzigkeit ist nach 4 Ethic. 3. der Schmuck der Gerechtigkeit und aller Tugenden; also steht sie höher. III. Die Tugend richtet sich auf das Schwierige. Danach ist aber die Stärke die erste Tugend. Auf der anderen Seite sagt Cicero (1. de offic.): „Der Glanz des tugendhaften in der Gerechtigkeit ist im höchsten Grade groß; denn von da her nennt man den Menschen einen guten.“

b) Ich antworte, die „gesetzliche“ Gerechtigkeit zuvörderst sei ganz offenbar unter allen Tugenden hervorragend, so viel das Gemeinbeste hervorragt vor dem Privatbesten. Danach heißt es 5 Ethic. 1.: „Die hervorragendste Tugend scheint die Gerechtigkeit zu sein; und weder der Abend- noch der Morgenstern ist im selben Grade wunderbar.“ Aber auch die sogenannte besondere Gerechtigkeit ragt aus zwei Gründen vor allen moralischen Tugenden hervor; und zwar 1. weil ihr Sitz im vernünftigen Teile ist, während die anderen moralischen Tugenden im sinnlichen Begehren sich finden, wo die Leidenschaften sind; — 2. weil ihr Gegenstand der ist, daß der tugendhafte sich zu dem anderen gut verhält, also das Gute im anderen will; während die übrigen moralischen Tugenden nur das Gute im tugendhaften selber berücksichtigen. Danach heißt es 1 Rhet. 9.: „Die hervorragendsten Tugenden müssen jene sein, welche den anderen im höchsten Grade nützlich sind. Denn die Tugend ist immer etwas Wohlthätiges; und deshalb werden die Starken und die Gerechten sehr geehrt, da die Stärke nützlich ist im Kriege, die Gerechtigkeit im Kriege und im Frieden.

c) I. Die Freigebigkeit giebt vom Ihrigen; aber darin ist für sie bestimmend das Gute der eigenen Tugend. Die Gerechtigkeit jedoch giebt dem anderen das Seine, bestimmt durch das Gemeinbeste. Zudem richtet sich die Gerechtigkeit auf alle; was für die Freigebigkeit unmöglich ist. Und endlich ist die Freigebigkeit, die vom Ihrigen giebt, in der Gerechtigkeit begründet, durch welche jedem zugeteilt wird, was sein ist. II. Die Hochherzigkeit vermehrt das Gute in der Gerechtigkeit, würde aber ohne Gerechtigkeit nicht einmal den Wesenscharakter einer Tugend tragen. III. Die Stärke richtet sich auf Schwierigeres, aber nicht auf Besseres; da sie nur im Kriege nützlich ist, die Gerechtigkeit aber im Kriege und im Frieden.

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