Dritter Artikel. Verleumdung, Heuchelei und Bemänteln machen, daß die Anklage ungerecht ist.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Nach 2 Qq. 3. (in append. post Grat. cap. 8.) heißt es: „Verleumden will sagen: falsche Verbrechen vorbringen.“ Manchmal kann aber jemand dem anderen ein falsches Verbrechen vorwerfen aus Unkenntnis der Sachlage, die da entschuldigt. Also wird dadurch die Anklage nicht immer ungerecht. II. „Heucheln heißt: wahre Verbrechen verbergen“ (l. c.). Das aber kann ohne Ungerechtigkeit geschehen. Denn der Mensch ist nicht gehalten, alle Verbrechen, die er weiß, zu enthüllen. III. I. c. wird gesagt: „Bemänteln will sagen: im allgemeinen von der Anklage abstehen.“ Das ist aber nicht immer mit Ungerechtigkeit verbunden; denn l. c. heißt es noch: „Bereut jemand, eine Anklage gemacht und schriftlich niedergelegt zu haben, die er nicht beweisen kann, so kann er mit dem angeklagten übereinkommen; und sie können sich wechselseitig Genugthuung geben.“ Auf der anderen Seite wird I. c. (in append. ad cap. cit.) hinzugefügt: „Die Vermessenheit der Ankläger zeigt sich in dreifacher Weise: Sie verleumden oder heucheln oder bemänteln.“
b) Ich antworte, die Anklage habe zum Zweck das Gemeinbeste. Keiner aber darf dem Gemeinbesten nutzen wollen dadurch, daß er jemandem ungerechterweise schadet. Und sonach ist in der Anklage in doppelter Weise Sünde: 1. wenn jemand ungerecht handelt gegen den verklagten, indem er ihm fälschlicherweise Verbrechen unterschiebt; und das ist Verleumden; — 2. wenn jemand boshafterweise das Gemeinbeste schädigt, indem er die Bestrafung von Übelthätern hindert, entweder
a) dadurch daß er betrügerisch sich im Anklagen verhält, indem er unter dem Scheine, jemanden anzuklagen, demselben thatsächlich hilft; und das heißt Heucheln; — oder
b) dadurch daß er vom Anklagen gänzlich absteht und das heißt Bemänteln, gleichsam einen Mantel darum hängen.
c) I. Ehe der Mensch als öffentlicher Ankläger auftritt, muß er seiner Sache sicher sein; darf also nicht in Unkenntnis sich finden rücksichtlich der Sachlage. Diese Unkenntnis aber selbst würde noch nicht die Grundlage für eine Verleumdung abgeben; denn letztere muß von Bosheit ausgehen. Klagt einer jedoch leichtsinnigerweise an, so ist das Vermessenheit und nicht Verleumdung. Vorkommen nun kann es, daß jemand aus berechtigtem Irrtume als Ankläger auftritt. Dies Alles muß der Richter im einzelnen Falle unterscheiden, damit niemand mit Unrecht als verleumderischer Ankläger dastehe. II. Nicht jeder, welcher wahre Verbrechen verbirgt, heuchelt; sondern nur derjenige thut dies, der trügerischerweise, im geheimen Ginverständnisse mit dem schuldigen, das verbirgt, was zur Begründung der Anklage dienen kann oder falsche Entschuldigungsgründe zuläßt. III. Ohne irgend welche Ungeregeltheit und somit ohne Fehler steht von der Anklage ab: 1. der da im Verfolge der Anklage erkennt, es sei falsch, was er angeklagt; 2. wenn der Fürst, dem die Sorge für das Gemeinbeste obliegt, die Anklage aufhebt; denn letztere soll doch nur dem Gemeinbesten dienen.