Erster Artikel. Der Aberglaube ist ein Laster, welches der Gottesverehrung entgegengesetzt ist.
a) Dagegen spricht: I. In der Begriffsbestimmung eines Dinges steht nicht, was zu demselben im Gegensatze sich findet. Die Religion oder Gottesverehrung aber steht in der Begriffsbestimmung des Aberglaubens, der da ist: „eine Religion oder ein Glaube über das Maß hinaus“ (Glosse zu Koloss. 3. Quae sunt rationem hebentia in superstitione); so daß „Aberglaube“ eigentlich ein „Aberglaube“ ist. II. Isidor berichtet (10. Etymol. lit. S.): „Cicero habe Abergläubische jene genannt, welche ganze Tage beteten und opferten, damit ihre Kinder am Leben bleiben.“ Dies kann man aber auch gemäß der wahren Religion. III. Der Aberglaube schließt ein gewisses Übermaß ein, welch letzteres der Tugend der Gottesverehrung gar nicht zukommen kann; denn wir können Gott gar nicht so viel Ehre erweisen, wie Er verdient. Also ist da kein Gegensatz. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de 10. cordis 9.): „Du berührst die erste Saite, womit der eine Gott verehrt wird, und es fällt das Tier des Aberglaubens.“ Also ist zwischen der Tugend der Gottesverehrung und dem Aberglauben ein Gegensatz.
b) Ich antworte, jede moralische Tugend bestehe dem Wesen nach in der rechten Mitte. Also steht ihr auf der einen Seite ein Laster gegenüber gemäß dem Übermaße, dem „zu viel“; und auf der anderen Seite eines gemäß dem Mangel, dem „zu wenig“. Das Maß der Tugend kann überschritten werden nicht allein nach dem Umstände des Umfanges, des quantum, sondern auch nach anderen Umständen; wie z. B. der Großherzigkeit ein Laster gegenübersteht, nicht weil es nach Größerem strebt sondern es strebt vielleicht nach Geringerem; aber es berücksichtigt Personen, die nicht berücksichtigt werden sollen oder macht sich geltend zu einer Zeit, wo die Tugend das nicht vorschreibt. (4 Ethic. 1.) So nun steht der Aberglaube im Gegensatze zur Gottesverehrung; nicht weil er Gott mehr Verehrung darbrächte als er soll, sondern weil er diese Verehrung darbringt, wem, oder wann, oder wie er nicht soll.
c) I. Wie man bisweilen metaphorisch von einem „guten“ Räuber spricht, in dieser Weise findet sich auch die „Gottesverehrung“ oder „Religion“ da in dieser Begriffsbestimmung. So steht Luk. 16, 8.: „Die Kinder dieser Welt sind klüger wie die Kinder des Lichtes,“ das Wort „klug“ für „schlau“. II. Die Etymologie berücksichtigt, von wo aus ein Ausdruck hergenommen ist; die Bezeichnung des Wortes giebt an, wozu der Ausdruck dient. So bezeichnet also der Ausdruck „Aberglauben“ nicht streng das, von woher er genommen ist. „Friede“ z. B. kommt vom Eingefriedigtsein, also von den Grenzen; bezeichnet aber etwas über alle Grenzen Hinausgehendes, nach dem Apostel: „Der Friede, welcher allen Sinn übersteigt.“ IlI. Die Gottesverehrung kennt ein Übermaß in der erwähnten Weise.