Zweiter Artikel. Die Unmäßigkeit ist eine Kindern eigene Sünde.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Zu Matth. 18. (Nisi conversi fueritis) sagt Hieronymus: „Ein Kind beharrt nicht im Zorne, erinnert sich nicht der Beleidigungen, beim Anblicke einer schönen Frau ergötzt es sich nicht.“ Letzteres aber ist der Unmäßigkeit entgegengesetzt. Also ist die Unmäßigkeit keine Kindersünde. II. Die Kinder haben nur Begierlichkeiten, welche die Natur begleiten: „Mit Bezug auf solche Begierlichkeiten aber sündigt man wenig durch Unmäßigkeit.“ (3 Ethic. 11.) III. Kinder muß man pflegen und nähren. Die Begierlichkeit und Ergützlichkeit aber, auf welche die Unmäßigkeit sich bezieht, muß man ausrotten, nach Koloss. 3.: „Tötet ab euere Glieder, welche auf der Erde sind, die Begierlichkeit etc.“ Also ist die Unmäßigkeit keine Kindersünde. Auf der anderen Seite „beziehen wir den Namen der Unmäßigkeit auf Kindersünden,“ heißt es 3 Ethic. ult.
b) Ich antworte, die Unmäßigkeit werde nicht als Kindersünde bezeichnet, weil sie den Kindern zukömmlich ist; sondern wegen einer gewissen Ähnlichkeit. Denn sie ist eine Sünde, welche von überflüssiger Begierde kommt; und nach dieser Seite hin ist sie dem Kinde ähnlich: 1. weil weder das Kind noch der unmäßige auf die Regel der Vernunft achtgiebt, und somit beide nichts Schönes, sondern vielmehr Häßliches begehren; denn „schön ist, was dem Vorrange des Menschen entspricht in dem, worin er sich von den Tieren unterscheidet;“ — 2. mit Rücksicht auf das Ergebnis; denn wird das Kind seinem Willen überlassen, so wachst der Eigensinn in ihm, nach Ekkli. 30.: „Ein unbezähmtes Pferd wird widerspenstig und ein Kind, das man sich selbst überläßt, überstürzt sich;“ ebenso wird die Begierlichkeit desto mächtiger, wenn man ihr nachgiebt, so daß Augustin schreibt (8. Conf. 5.): „Dient man der Begierde, so wird sie Gewohnheit; und widersteht man der Gewohnheit nicht, so wird sie zur Notwendigkeit;“ — 3. auf Grund des Heilmittels. Denn das Kind bessert man durch Strafe, nach Prov. 23.: „Entziehe dem Knaben nicht die Zucht…; mit der Rute wirst du ihn schlagen und seine Seele aus der Hölle befreien.“ Ähnlich muß man der Begierde widerstehen, um sie zum gebührenden Maße zurückzubringen. Dies erklärt Augustin (6. de musica 11.): „Ist der Geist in Betrachtung geistiger Dinge versenkt und bleibt da fest und dauernd, so wird der Ansturm der Gewohnheit (fleischlichen Begierde) gebrochen, nach und nach niedergedrückt und ausgelöscht; mächtiger ist sie, wenn wir ihr folgen, minder, wenn auch nicht durchaus vernichtet, wenn wir sie zügeln.“ Deshalb sagt Aristoteles (l. c.): „Das Kind soll seinem Erzieher folgen, die Begierde dem Gebote der Vernunft gehorchen.“
c) I. Gemäß einer gewissen Ähnlichkeit, nicht als ob diese Sünde in den Kindern sich fände und da von Natur berechtigt wäre, ist die Unmäßigkeit eine Kindersünde. II. „Natürlich“ ist 1. eine Begierlichkeit im Bereiche ihrer „Art“; und so sind die Begierlichkeiten und Ergötzlichkeiten Gegenstand der Mäßigkeit und Unmäßigkeit; denn Speise und Trank sowie das Geschlechtliche haben ihren Zweck in der Erhaltung der Natur. Natürlich ist 2. eine Begierlichkeit mit Rücksicht auf das Gattungswesen dessen, was die Natur zu ihrer Erhaltung verlangt; danach sündigt man nicht viel bei den natürlichen Begierlichkeiten. Denn die Natur verlangt nur, was ihr notwendig ist; und darin ist keine Sünde, sondern im Übermaße. Man sündigt ferner sehr viel betreffs der Reizungen der Begierde, wie solche die menschliche Neugier erfunden hat; wie z. B. delikat bereitete Speisen, geschmückte Frauen etc. Kindersünde aber nennt man die Unmäßigkeit wegen des bereits erwähnten Grundes. III. Was zur Natur gehört, das muß man pflegen in Kindern; nicht aber was zum Mangel der Vernunft gehört, das muß man bessern.