Zehnter Artikel. Christus war zugleich Erdenpilger und im Besitze der Seligkeit.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Der Erdenpilger bewegt sich zur Seligkeit hin; der sie besitzende ruht darin. Das kann aber nicht ein und demselben zukommen. II. Zur Seligkeit sich hinbewegen kommt dem Menschen nicht zu gemäß dem Körper, sondern gemäß der Seele. Deshalb sagt Augustin (ep. 118.): „Auf den Körper als auf den niederen Teil strömt nicht über die Seligkeit, die da eigen ist dem erkennenden und genießenden; sondern volle Gesundheit d. h. die Kraft der Unsterblichkeit.“ Christus aber hatte nur einen leidensfähigen Körper; der Seele nach besaß Er ganz und gar die Seligkeit. Also war Christus gar nicht Erdenpilger. III. Die Körper der heiligen liegen im Grabe, dem Tode unterworfen; ihre Seelen schauen Gott; und trotzdem sagt niemand, sie seien zugleich Erdenpilger und besäßen die Seligkeit. Christus aber hatte nur einen sterblichen Leib; der Seele nach genoß Er die Anschauung Gottes. Also war Er aus gleichem Grunde in keiner Weise Erdenpilger. Auf der anderen Seite heißt es bei Jerem. 14.: „Warum wirst du sein wie ein Fremdling im Lande und wie ein Wanderer, der nach Ruhe sucht.“
b) Ich antworte; Erdenpilger wird jemand genannt, weil er nach der Seligkeit hinstrebt. Es besitzt jemand die Seligkeit, weil er in ihr ruht; nach 1. Kor. 9, 24. Des Menschen vollkommene Seligkeit aber besteht in der Seele und im Leibe: in der Seele als dieser in Wahrheit und recht eigentlich eigen und entsprechend, weil sie Gott schaut und Ihn genießt; im Körper, insofern er als geistig auferstehen wird in Kraft, in Glanz, in Unsterblichkeit (1. Kor. 15.). Christus nun vor dem Leiden schaute voll und ganz Gott; und somit hatte Er die Seligkeit, soweit sie der Seele eigen ist. Dabei blieb aber seine Seele dem Leiden zugänglich und sein Leib sterblich; und danach fehlte Ihm die Seligkeit. Mit Bezug auf Letzteres also bewegte Er Sich zur Seligkeit hm und war sonach Erdenpilger; — mit Bezug auf Ersteres besaß Er die Seligkeit.
c) I. Ein Mensch ist voll Wissen und ruht in demselben, mit Rücksicht auf das, was er schon weiß; während er in Bewegung ist zu dem hin, was er noch nicht weiß, es nämlich erlernen muß. Alfo „in Ruhe sein“ und „in Bewegung sein“ kann wohl ein und demselben zukommen, aber nicht unter dem nämlichen Gesichtspunkte. II. Die Seligkeit besteht in erster Linie in der Seele gemäß dem vernünftigen Geiste; an zweiter Stelle und nach der Weise eines Werkzeuges gehören aber dazu auch die körperlichen Güter. Deshalb sagt Aristoteles (1 Ethic. 8.): „Die äußeren Güter dienen der Seligkeit.“ III. Die Seelen der heiligen sind 1. nicht dem Leiden zugänglich, wie die Seele Christi es vor dem Tode war; und 2. ihre Leiber thun nichts, um zur Seligkeit zu gelangen, wie der Leib Christi gelitten hat, um verherrlicht zu werden.