Erster Artikel. Die Körper sind Erkenntnisgegenstände für die menschliche Vernunft.
a) Dem entgegen sagt: I. Augustinus (2 Soliloq. cap. 4.): „Körper können vermittelst der Vernunft nicht begriffen, nur mit den Sinnen kann Körperliches wahrgenommen werden.“ Und 12. sup. Gen. ad litt. 23. setzt er auseinander, wie das vernünftige Schauen dem gilt, was kraft seines Wesens in der Seele ist; dies aber kann vom Körper nicht gesagt werden. Die Seele also erkennt vermittelst ihrer Vernunft nichts Körperliches. II. Wie der Sinn sich verhält zum vernünftig Erkennbaren, so die Vernunft zum Gegenstande der Sinne. Der Sinn nimmt aber den Gegenstand der Vernunft nicht wahr; also auch die Vernunft nicht das Sinnliche oder Körperliche. III. Der Gegenstand der vernünftigen Kenntnis ist das Notwendige und immer gleichmäßig sich Verhaltende. Die Körper aber sind beweglich und veränderlich. Auf der anderen Seite besteht in der Vernunft allein Wissenschaft. Soll also es eine Naturwissenschaft geben, so muß die Vernunft Körper erkennen.
b) Ich antworte; die ältesten Philosophen meinten, nur Körper hätten Sein in der Welt. Und da sie sahen, wie alles Körperliche in beständigem Flusse sei, so hielten sie dafür, es gäbe überhaupt keine Gewißheit rücksichtlich der Wahrheit der Dinge. Denn was beständig dahinfließt; das kann nicht erfaßt werden, da es früher verflossen als aufgefaßt ist. Deshalb meinte Heraklit, es sei nicht möglich, das Wasser, welches im Flusse dahinströmt, zweimal zu berühren; immer sei es nämlich ein anderer Tropfen, den man berühre. (4 Metaph. Arist.) Über diese hinaus ging Plato, der annahm, außer diesen körperlichen Dingen, die uns umgeben, beständen stoff- und bewegungslose Substanzen, Ideen oder Gattungsbilder, wie er sie nannte; und nur im Grade der Teilnahme an diesen gewinne jegliches sinnlich wahrnehmbare Einzelding Sein, daß es Pferd sei oder Mensch oder dergleichen. Diese stofflosen Ideen nun erkenne die Vernunft, bestimme danach mit Zuverlässigkeit und Gewißheit begrifflich das Körperliche und habe von selbem Wissenschaft. Nicht also die Körper erkenne die Seele, sondern diese Ideen, von denen das Sein in die Körper flösse. Das ist aber in doppelter Weise falsch; 1. weil dadurch der Stoff und die Bewegung vom Wissen ausgeschlossen würde; denn diese Ideen sind stoff- und bewegungslos. Gerade aber den Stoff und die Bewegung hat die Naturwissenschaft als Gegenstand; und sie beweist auf Grund stofflicher und bewegender Kräfte. 2. Erscheint es lächerlich, daß, wenn wir nach der sicheren Kenntnis dessen fragen, was offen vor unseren Augen liegt, wir zur Erklärung anders geartete Wesen herbeibringen, welche von allem Sichtbaren dem Sein nach sich unterscheiden und somit dessen Substanz nicht sein können. Würden wir also selbst diese vom Stoffe getrennten Substanzen wirklich erkennen, so genügte das noch nicht, um Gewißheit über das Körperliche uns zu verschaffen. Platos Grundirrtum scheint nun der zu sein, daß er meint, die Dinge außen müßten genau dieselbe Seinsweise haben, welche sie innen in der Vernunft besitzen. Denn er sah, daß die Form des aufgefaßten Dinges in der Vernunft ist als eine allgemeine, vom Stoffe losgelöste und unverrückbare, was aus der Thätigkeit des Erkennens schon erhellt, die sich auf Allgemeines, in sich gewissermaßen Notwendiges richtet; das Thätigsein aber entspricht der inneren Form dessen, der thätig ist. Und deshalb meinte er, auch außen im wirklichen Sein müßten die erkannten Gegenstände als stofflose, allgemeine, unbewegliche subjektiv existieren. Das aber ist ein Irrtum. Wir sehen das nämlich bereits in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen, daß die maßgebende Form in dem einen nicht dieselbe Seinsweise hat wie im anderen. Die weiße Farbe z. B. tritt da kräftiger und durchdringender auf wie dort und ist da mit Süße verbunden, dort aber nicht. Und so ist auch die sinnliche Erkenntnisform in anderer Weise innerhalb des Sinnes als Form der sinnlichen Thätigkeit wie in der Sache selber, welche wahrgenommen wird, wie z. B. die Farbe des Goldes im Auge ist ohne das Gold. Ähnlich nimmt die Vernunft die Gattungsbilder der Körper, welche da außen stofflich und beweglich sind, nach ihrer Seinsweise in sich auf, nämlich als unbewegliche und stofflose. Denn das, wovon ein Wesen aufgenommen wird, enthält dieses Wesen in sich nach seiner eigenen, des aufnehmenden, Seinsweise. So also muß man sagen, daß die Seele vermittelst der Vernunft die Körper erkennt in stoffloser, auf das Allgemeine und Notwendige gerichteter Weise.
c) I. Die Worte Augustins sind dahin zu verstehen, daß die Vernunft nicht vermittelst eines Körpers, also nicht vermittelst eines stofflichen Organs auffaßt; sie wollen aber nicht sagen, daß Körper nicht Erkenntnisgegenstand der Vernunft sind. Stofflose Bilder der Körper sind in der Seele, nicht stoffliche; diese sind in den Sinnen. II. Die höhere Erkenntniskraft erstreckt sich auch auf die Gegenstände der niedrigeren; nicht aber umgekehrt. Die Vernunft also im Menschen, die Engel und Gott erkennen das Körperliche; der Sinn aber erkennt nicht das Geistige, (Aug. 22. de civ. 29.) III. Von jeder Bewegung wird etwas Unbewegliches vorausgesetzt. Denn wenn die Eigenschaften eines Dinges sich ändern, so bleibt unbeweglich das Wesen; wie, wenn der Mensch aus einem kleinen ein großer wird, immer das Wesen „Mensch“ dasselbe bleibt. Und wird aus einem Dinge dem Wesen nach ein anderes, wie aus dem Samen die Frucht, so bleibt das Grundvermögen des Stoffes unbeweglich. Zudem sind den beweglichen Dingen unbewegliche Beziehungen eigen; — wie z. B. Sokrates wohl nicht immer sitzt; trotzdem aber es eine unverrückbare Wahrheit ist, daß, wenn er sitzt, er an ein und demselben Orte bleibt. Und so steht dem nichts entgegen, daß von den beweglichen Dingen ein unverrückbares Wissen bestehen kann.
