12.
Ich wünschte, wir möchten der vielen Jahre, die wir seit unserer Ordensprofeß oder seit dem Beginn der Übung des innerlichen Gebetes verlebt haben, zu dem Zwecke gedenken, um uns selbst zu beschämen. Quälen wir aber andere, die in kürzerer Zeit weiter vorankommen, nicht dadurch, daß wir sie zur Rückkehr zwingen, damit sie mit uns gleichen Schritt einhalten, und verlangen wir nie, daß jene, die mit den von Gott empfangenen Gnaden wie Adler fliegen, nur wie gebundene Hühnlein voranschreiten! Erheben wir vielmehr unsere Augen zu Seiner Majestät; und wenn wir diese Seelen in Demut wandeln sehen, so gestatten wir ihnen freien Lauf; denn der Herr, der ihnen so große Gnaden erteilt, wird nicht zulassen, daß sie in den Abgrund stürzen. Erleuchtet von der Wahrheit des Glaubens, vertrauen sie selbst sich Gott an: warum sollten wir sie nicht ebenso ihm überlassen? Warum wollten wir sie nur nach unserem Maße, nach unserem schwachen Mute messen? Hüten wir uns wohl! Und wenn mir uns selbst nicht zu ihren großmütigen Begierden und Entschlüssen erheben, weil wir ohne eigene Erfahrung nichts davon verstehen können, so wollen wir uns wenigstens demütigen und sie nicht verdammen. Sonst entziehen wir uns, in der Meinung, auf ihren Vorteil zu sehen, den eigenen und verlieren die vom Herrn uns dargebotene Gelegenheit, uns zu verdemütigen und anzuerkennen, wieviel uns noch abgeht und wie weit mehr diese Seelen losgeschält und mit Gott vereint sein müssen als wir, weil Seine Majestät so vertraulich mit ihnen umgeht.