5.
Über das Gut, das der besitzt, der das innerliche Gebet übt, haben viele heilige und fromme Männer geschrieben; Gott sei Ehre dafür! Wäre dieses aber auch nicht der Fall, so würde ich, obgleich nur wenig demütig, doch nicht so hoffärtig sein, daß ich es wagte, davon zu sprechen. Ich will darum nur meine eigene Erfahrung mitteilen, und dieser gemäß kann ich sagen: wer einmal das innerliche Gebet zu üben begonnen hat, der gebe es, so viel Böses er auch tun mag, doch nicht wieder auf; denn es ist das Mittel, durch daß er sich wieder bessern kann, was ohne dasselbe weit schwerer der Fall sein wird. Ein solcher lasse sich auch nicht, wie mir geschehen, vom bösen Feinde bereden, aus Demut davon abzusehen. Er glaube vielmehr, daß die Worte Gottes nie trügen können, daß er uns nämlich, sobald wir wahre Reue haben und uns ernstlich vornehmen, ihn nie mehr zu beleidigen, wieder in die vorige Freundschaft aufnimmt. Der Herr wird uns dann die zuvor erwiesenen Gnaden, ja zuweilen, wenn unsere Reue es verdient, noch viel größere schenken. Wer aber mit dieser Übung noch nicht begonnen hat, den bitte ich um der Liebe des Herrn willen, sich ein so großes Gut nicht entgehen zu lassen. Hier gibt es nichts zu fürchten, hier gibt es nur Verlangenswertes. Wenn er auch nicht vorwärtsschreiten und die zur Erwerbung der Vollkommenheit nötige Gewalt sich nicht antun sollte, um auf solche Weise der Freuden und Wonnen, die der Herr vollkommenen Seelen verleiht, würdig zu werden, so wird er doch bald so viel gewinnen, daß er den Weg zum Himmel kennenlernt; und harrt er in der begonnenen Übung aus, so hoffe ich für ihn zur Barmherzigkeit Gottes, den noch niemand, ohne von ihm belohnt zu werden, zum Freunde erwählt hat. Meiner Ansicht nach ist nämlich das innerliche Gebet nichts anderes als ein Freundschaftsverkehr, bei dem wir uns oftmals im geheimen mit dem unterreden, von dem wir wissen, daß er uns liebt. Und sei es auch, daß ihr ihn noch nicht liebt; denn da wahre Liebe und bauerhafte Freundschaft notwendig eine Übereinstimmung der Gemüter voraussetzen, zwischen dem Herrn aber, der bekanntlich keinen Fehler an sich haben kann, und uns, die wir fehlerhaft, sinnlich und undankbar sind, eine solche Übereinstimmung nicht besteht, so könnt ihr es doch niemals dahin bringen, ihn so vollkommen zu lieben, daß eure Liebe der seinigen gleichkommt. Weil ihr aber seht, wie wichtig seine Freundschaft für euch ist und wie sehr er euch liebt, so ertraget die Pein, die ihr empfindet, wenn ihr viel bei einem Freunde weilt, der so verschieden von euch ist.