1.
S. 25 Wenn jemand über das Unsichtbare und seine ewige Kraft eine Erörterung anstellen will, so muß er als leibliches Wesen seinen Sinn erhellen, seine Gedanken läutern, die Leidenschaften zügeln, um das vorgesteckte Ziel erreichen zu können. Derjenige, welcher das Licht der Sonne schauen will, muß auch entfernen, was das Auge verdunkelt, Unsauberkeit und Ausfluss, damit nicht sonst Nebel 1 das Auge umflimmern und es hindern, das Licht klar zu schauen.
Da es nun eine, ihrer Natur nach unerforschbare und unerfaßbare Wesenheit 2 gibt, so müssen wir vor ihrer Unerforschlichkeit unsere Unwissenheit bekennen, ihrem Dasein gegenüber aber zugestehen, daß wir es erkennen, ohne dasselbe erforschen zu können. Denn der Absolute 3 muß ewig und anfangslos sein 4. Er kann von keinem andern den Anfang des Seins 5 gewonnen haben. Und er hat niemand über sich, der für seine Ursache zu halten wäre oder von dem man glauben müßte, er habe aus ihm den Anfang des Seins erhalten. Denn vor ihm ist niemand und nach ihm ist niemand ihm gleich, er hat keinen Genossen, der ihm gleich steht. Es gibt auch kein Sein, das im Widerspruch zu ihm existierte und nichts besteht als Gegensatz S. 26 zu ihm. Kein Wesen besteht, das die Materie darböte für dessen Bedarf, noch gibt es einen Stoff, aus dem er nehmen müßte, was er schaffen wird. Aber er ist die Ursache von allem, was zu Sein und Existenz gekommen ist, aus Nichtseienden wie aus Seienden 6, wie der obere Himmel 7 und was in ihm, und der sichtbare Himmel, der aus Wassern ist, und die Erde und alles, was aus ihr und in ihr ist. Von ihm ist alles, aber er ist von nichts anderem. Er hat jedem 8 nach seiner Ordnung das Sein gegeben, dem unsichtbaren und unkörperlichen Wesen und ebenso den sichtbaren Körperwesen. Wie er imstande ist, das Leben zu schenken, so ist er auch imstande, zur Kenntnis seiner unerschaffenen Wesenheit zu leiten und an seinen Geschöpfen nach ihrer Art zur Befestigung zu bringen. Nicht nur deshalb müssen wir ihn bewundern, weil er das Seiende aus dem Nichts zum Sein rief und die Wesen aus Nichts zum Etwas 9, sondern auch deshalb, weil er unverletzt und unerschütterlich die seienden Dinge erhält. Neidlos gab er denselben auch das Leben, um seine Schöpfergüte zu offenbaren.
Denn er ist erhaben über allen Mangel und braucht nicht aus solchem Grunde das Leben für sich allein zurückzubehalten; erhaben über Kraftlosigkeit und Schwäche, und braucht seine Macht nicht zu erschleichen 10, erhaben über Unwissenheit und braucht nicht für sich allein sein Wissen zu bewahren, und erhaben über die Beschränktheit in der Weisheit, daß er, wenn er andern Weisheit mitteilt, selbst sich benachteiligen würde. Er ist lebendig und der Quell des Lebens, er spendet allen das Leben und ist selbst voll unendlichen Lebens. Er kräftigt das Schwache mit seiner großen Kraft und S. 27 seine schöpferische Macht verringert sich nicht dabei. Den Unwissenden allen schenkt er das Wissen und bewahrt in sich vollkommen die Allwissenheit. Über alle ergießt er die Fülle der Weisheit und bleibt selbst im ungeschmälerten Besitz aller Weisheit.
Die immersprudelnden Quellen 11, welchen er die Ordnung vorgeschrieben hat, fließen immer und nehmen nicht ab; und mit ihrem Reichtum ersetzen sie die Armut anderer, während sie selbst immerdar die gleiche Fülle bewahren; wieviel mehr (muß) derjenige, der ihnen ihre reiche Quellkraft gab, (in seiner Fülle beharren) der Quell der Güte, er, der alles, was er schuf, gut schuf, das Vernünftige und das Unvernünftige 12, die erkennenden und die erkenntnislosen Wesen, die redebegabten und die sprachlosen, die lautmächtigen und stummen Geschöpfe. Und für die vernünftigen und erkennenden Wesen hat er die Anordnung getroffen, daß sie gemäß ihrer Tugendbestrebungen die Güte besitzen sollten, nicht aber die Schönheit. Denn der Geber der Schönheit ist er selbst, aber die Auswirkung der Güte hat er dem eigenen persönlichen Kraftgebrauch als Ursache zugewiesen.
-
Über den Text vgl. Kalemkiar bei J. M. Schmid des Eznik Wider die Sekten, Wien 1900, S.20. Statt V. mtharkhn [Schmutz, dunkel] liest S. wohl richtig mrajlkhn [Nebel]. ↩
-
S. fügt bei: astutjoh. ↩
-
Wörtlich: „Der, welcher ist“, vgl. Exodus 3, 14, Offenb. 1, 8. ↩
-
Vgl. hierzu Hatschachapatum, 1. Rede, Von der heiligsten Dreieinigkeit. Venedig 1838, S. 1. Deutsch von J. M. Schmid, S. 15. ↩
-
S.: beim Werden. ↩
-
Nahapetean verbessert: aus Nichtseiendem in Seiendes, s. National-Bibliothek (arm.) Venedig 1907 S.282 (V.2). ↩
-
Der unsichtbare Ort der Geister über dem sichtbaren Himmel. ↩
-
S.: Mehrzahl. ↩
-
S. führt das Abstraktum. S.: hintschuthiun zum Etwassein. ↩
-
Lesart bei S.: chorhizer „daß er nur an seine Macht dachte.“ Schmid übersetzt mit Kalemkiar: „daß er die nur sich anmaßte.“ ↩
-
S.: anbans mit gleicher Bedeutung wie V. ↩
-
Vgl. Basilius Hexaemeron: s. Handes 1893 S.293 ↩