5. Cap. Der Leib des Menschen hat auch seine Vorzüge und Auszeichnungen so gut wie die Seele, vor allem die, von Gott, oder doch wenigstens mit Gottes Zulassung erschaffen worden zu sein.
Da also sogar alle Ungebildeten für die Gemeinbegriffe empfänglich sind, da auch die Schwankenden und Einfältigen durch eben dieselben aufs neue in Unruhe versetzt werden, und da sie jedesmal der erste Sturmbock sind, der gegen uns gerichtet und wodurch unsere richtige Ansicht in betreff des Fleisches wankend gemacht wird, so muss notwendigerweise die Stellung und Würde des Fleisches zuerst gesichert werden dadurch, dass man Tadel mit Lob vertreibt. So nötigen mich die Häretiker, den Rhetoren zu machen, so gut wie den Philosophen.
Nichtig und gebrechlich ist dieses armselige Leibeswesen, das böse zu nennen sie nicht zurückschrecken. Mag dasselbe nun, wie Menander und Markus beliebt, ein Werk der Engel gewesen oder mag es, wie Apelles lehrt, das Bauwerk eines Feuerwesens, also ebenfalls eines Engels sein, so würde, um ihm Ansehen zu verleihen, die Vorstandschaft einer Gottheit zweiten Ranges genügen. Denn wir wissen, dass auf Gott die Engel folgen. Schon auf diesem Punkte der Beweisführung könnte ich, wie beschaffen der jedesmalige oberste Gott eines solchen Häretikers auch sein mag, die Würde des menschlichen Leibes ganz passend sogar von ihm ableiten, weil dann der Entschluss, ihn zu schaffen, ihm gehört haben würde. S. 427 Denn in jedem Falle hätte er die Erschaffung des Menschenleibes verhindern können, wenn er dieselbe nicht gewollt hätte, da er ja um diese Erschaffung wusste. So ist auch nach ihrer Ansicht der menschliche Leib ebenso gut ein Werk Gottes. Alles, was jemand hat geschehen lassen, ist auch sein Werk.
Ein Glück aber ist es, dass die meisten, ja sogar alle dauerhaften Lehrmeinungen die Bildung des ganzen Menschen unserem Gotte überlassen. Wie gross dessen Erhabenheit sei, das weiss der recht gut, welcher geglaubt hat, er sei nur ein einziger. Möge der menschliche Leib, dessen Baumeister so gross ist, nun Dir zu gefallen anfangen! Aber man entgegnet, auch die Welt ist Gottes Werk, und doch vergeht die Gestalt dieser Welt, nach dem Zeugnisse selbst des Apostels,1 und es wird keine Wiederherstellung derselben verheissen, trotzdem dass sie ein Werk Gottes ist. Wenn aber das Weltall nach seinem Untergang nicht wieder herstellbar ist, was wird aus den blossen Teilen desselben werden? — Ja wohl, wenn der Teil dem Ganzen gleichsteht. Wir berufen uns nämlich auf ihre Verschiedenheit. Erstens ist zwar alles durch das Wort Gottes geschaffen worden und ohne dasselbe nichts.2 Das Fleisch aber besteht auch seiner Form nach durch das Wort Gottes, damit nichts ohne das Wort Gottes da sei. Denn er hat die Worte vorausgehen lassen: „Wir wollen den Menschen machen“, und zwar noch mehr, mit der Hand, wegen des Vorranges desselben, damit er mit der Welt gar nicht verglichen werden könnte. „Es bildete“, heisst es, „Gott den Menschen.“3 Ohne Zweifel der Grund für eine grosse Verschiedenheit, entsprechend, wie sich von selbst versteht, der Beschaffenheit der betreffenden Dinge! Geringer nämlich sind die Dinge, die geschaffen wurden, als der, für welchen sie geschaffen wurden, sie wurden nämlich für den Menschen geschaffen, dem sie Gott alsbald zuwies. Mit Recht war also das Weltall, als das Dienende, durch einen Befehl und ein Geheiss und die in dem blossen Wort liegende Macht hervorgebracht worden. Der Mensch dagegen, als Herr desselben, ist in dieser Eigenschaft, indem er vom Herrn geschaffen wurde, gebildet worden, um Herr desselben sein zu können. In betreff des Menschen aber vergiss nicht, dass er im eigentlichen Sinne Fleisch genannt werde, weil dieses zuerst den Namen Mensch bekam: „Und es bildete Gott zum Menschen den Lehm der Erde.“4 Er ist schon Mensch und doch noch Lehm. „Gott hauchte in sein Angesicht den Hauch des Lebens, und es wurde der Mensch, d. i. der Lehm der Erde, zur lebendigen Seele, und Gott setzte den Menschen, den er gebildet hatte, ins Paradies.“ Zuerst also war der Mensch ein blosses Gebilde, nachher der ganze Mensch. S. 428 Dies möchte ich aus dem Grunde hervorgehoben haben, damit man wisse, dass alles, was von Gott überhaupt für den Menschen in Aussicht genommen und ihm verheissen wurde, nicht der Seele allein, sondern auch dem Fleische zukomme, wenn nicht infolge seines Anteils an der Gattung, doch sicher wenigstens durch das Privilegium seiner Benennung.
