4.
Wenn du die Jungfräulichkeit verloren und deine Perle befleckt hast, so verharre in der Heiligkeit, jenem S. 161 auserwählten Diamant! Die Kirche ist auf Simon gebaut wie das Bundeszelt1 auf Moses. Henoch wurde entrückt, weil er heilig war2, und Abraham wurde zum Stammvater eines Königsgeschlechtes. Erscheint dir etwa das Los eines Job verächtlich oder das eines Samuel unbedeutend? [250] Und gefällt dir vielleicht David nicht oder Noe, ist er nicht ein hervorragender Mann? Oder findest du einen Makel an den Propheten oder selbst an Joseph eine Ungerechtigkeit, sowie an den unzähligen anderen Gerechten und Heiligen, die auf Erden gelebt haben? Fischern wurde das Paradies verheißen, und dir soll die Nachlassung der Sünden genügen, dem Räuber der Garten Eden und dir genügen die Brosamen vom Tische der Gnade? [260] Den Jungfrauen wird das himmlische Brautgemach zuteil, dir die Erde der Lebendigen. Das Öl in deinem Gefäß geht bereits zu Ende und das Licht in deiner Lampe droht zu erlöschen3. Richte dir ein hochzeitliches Kleid her, denn der Bräutigam geht dir entgegen!4 Wenn die ersten bereits an dir vorbei sind, so gehe mit den mittleren, und wenn auch die mittleren bereits vorüber sind, so schließe dich den letzten an! [270] Nimm dich aber in acht, auf daß du nicht überhaupt zurückbleibst und ganz zugrunde gehest! Schaue nicht auf die Lässigen, denn diese werden das Verderben der Müßigen teilen! Der Barmherzige hat seinen eigenen Sohn nicht geschont, um die Seelen der Sünder zu retten; er hat seinen Leib dem Leiden nicht entzogen, um die vielen vor den Qualen zu bewahren. Er hat sein Blut vergossen, um dein Blut zu finden; sich selbst hat er fesseln lassen, um deine Fesseln zu lösen. [280] Gott lag nicht so viel am Tode seines Sohnes wie an dem der Sünder. Die Scharen in der Unterwelt wurden erschüttert, als der Herr am Kreuze seine Stimme vernehmen S. 162 ließ!5 Alle Geschlechter, die bereits entschlafen waren, haben die Zeit seines Todes wahrgenommen. Tote wurden durch seinen Ruf aufgerüttelt, doch dein Schlaf wurde dadurch nicht gestört. Die Felsen barsten und spalteten sich, nur dein Herz hat sich doppelt verhärtet. [290] Die Sonne hat ihren Glanz verhüllt, doch du trägst deine Schande offen zur Schau. Die Schöpfung in ihrer Herrlichkeit hat sich mit Finsternis bedeckt, doch du läßt nicht ab von deiner Sünde. Der Dämon, der Legion war, hat sich beruhigen lassen6, doch du richtest dein Gewissen zugrunde. Dieser kam von der Wüste her, du aber fliehst vor dem Frieden7; er hat seine Fesseln zerbrochen, zerbrich auch du das Joch der Sünde! [300] Der Dämon Legion hat seine Bande zerrissen, zerreiß auch du die Gedanken an das Böse! Die Sonne, die genau ihre Bahn zu verfolgen pflegt, hemmte ihren Weg am Firmamente, und du, der du auf Irrwegen wandelst, willst von deinem ärgerlichen Leben nicht ablassen? Die Sonne, die nicht gesündigt hatte, geriet in Schrecken, und du, Sünder, weist die Strafe verächtlich zurück! Der Himmel, der nichts gefehlt hatte, trauerte, und dich will die Trauer nicht durchdringen! [310] Das Licht, das kein Gebot übertreten hatte, hüllte sich in das Gewand der Dunkelheit, darum hülle auch du, Gesetzesübertreter, dich in das Gewand der Buße! Der Türvorhang des Tempels, der nichts verbrochen, riß vor Schrecken entzwei, zerreiß auch du dein Herz und nicht dein Gewand8, deinen Geist und nicht deinen Mantel!
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d. h. der alte Bund. Gerade der Vergleich mit Moses, dessen maßgebende Autorität für das Judentum von seinem Volke wie auch von den Christen einstimmig anerkannt ist, läßt die Bedeutung des Primates Petri im rechten Lichte erscheinen. ↩
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Gen. 5, 22. ↩
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Matth. 25, 1 ff. ↩
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Matth. 22, 11 ff. ↩
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Die Wunder beim Tode des Herrn; vergl. Matth. 27, 45 ff.; Mark. 15, 33 f.; Luk. 23, 14 ff. ↩
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Mark. 5, 9. ↩
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Eigentlich bedeutet das Wort „kultivierte Gegend“, wird aber meist im übertragenen Sinne für „Frieden“ gebraucht. Das Wortspiel, das so mit der „Wüste“ entsteht, können wir im Deutschen nicht wiedergeben. ↩
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Zerreißen des Gewandes galt bei den Juden wie überhaupt bei den Orientalen als ein Zeichen der Trauer und des Unwillens, vergl. Matth. 26, 65. ↩