8.
Die in der Einöde wohnenden Brüder gleichen den Adlern, den Büffeln und den Wildeseln. Besonders tüchtige Männer, welche die Wüste bewohnen, können auch Gazellen oder Wildschweine genannt werden. In den Bergen aufgewachsen werden diese Tiere, die ihre Jugend in der Wüste zugebracht haben, vom Lärm und von der Verwirrung krank, wenn sie in kultivierte Gegenden verbracht werden. Von einem Felsen springen sie auf den anderen und nie gleiten sie aus; [860] wenn sie aber auf ebenem Terrain unter zivilisierten Menschen sich befinden, so sind sie ängstlich und vermögen auf diesem Boden nicht recht zu gehen. Wann sucht der Adler je die Straßen auf, wann Gazellen die Stadt oder wann kommen Wildschweine in bewohnte Gegenden und Wildesel an die Krippe? Wann verläßt je der Löwe den Wald und mischt sich unter die jungen Hunde? Wer hat jemals einem Büffel das Joch umgeworfen und ihn zur Arbeit benützt? [870] Wann befanden sich je die Adler unter den Scharen der Hühnchen, die hocherhabenen unter den an den Boden gebundenen, die fliegenden unter den kriechenden, die, welche sich frei in der Höhe bewegen, zwischen den Häusern? Es steht doch geschrieben1: „Dem Vogel sollt ihr ähnlich werden, nach seinem Vorbild euch in allem richten, er, der sich um nichts kümmert und nichts aussät!“ Höret also auf das Gebot des Heilandes! Der Vogel baut Nest und Wohnung nach dem Maße seines Körpers, [880] nur schwer kommt er in seine Behausung hinein, er muß sich ducken und sein Köpfchen einziehen, aber es soll eben die Öffnung nicht allzugroß sein, damit der Habicht nicht eindringe und die Jungen raube. Ahme ihm nach und suche nicht deine S. 207 Wohnung auf dieser Welt zu erweitern, damit nicht der Habicht eindringe und deinen Glauben zugrunde richte! [890] Wenn du nämlich deine Wohnung erweiterst, verlangt sie von dir neue Einrichtungsgegenstände, wenn sie aber gerade deinem Bedürfnis entspricht, läßt sie nichts anderes mehr zu. Wenn das Haus klein, eng und bescheiden ist und darum keinen leeren Raum enthält, hast du alle deine Besitztümer vor deinen Augen beisammen und deshalb erscheinen sie dir viel, obwohl es eigentlich nur wenige sind; wenn aber deine Wohnung geräumig ist, reizt sie dich zur Habsucht, [900], und wenn du auch noch so viel Schätze aufhäufest und sparsam damit umgehst und deinen Besitz auf jede Weise zu vermehren suchst, erscheint er dir doch wie nichts. Solange deine Wohnung klein ist, erscheint dir das Wenige viel, und dabei giltst du als ein Mann, der nichts auf unerlaubte Weise in Besitz genommen hat. Wenn der Vogel seine Behausung erweitert, dringt der Falke ein und zerstört sie. So sucht auch ein Mönch, der seine Zellentüre erhöht, seinen eigenen Untergang, wie geschrieben steht2. [910] Die Wohnung der Mönche soll ärmlich und unansehnlich sein, ihren Bedürfnissen angepaßt, damit sie nicht der Habsucht frönen. Der Vogel betritt des Habichts wegen sein Nest in gebückter Haltung, auf gleiche Weise sollen auch wir des Satans wegen eine enge Behausung bewohnen. Aber warum lassen wir uns durch die tagtäglichen Sorgen aufreiben? [920] Und nicht nur durch die Sorge für heute und morgen, sondern gleich auf Monate und Jahre? Wozu ist denn einem Toten ein eigenes Kleid für den Sommer und ein eigenes für den Winter von Wert? Wer wird dir, wenn du einmal im Grabe eingeschlossen bist, eigene Schuhe für die Regenzeit und wieder eigene für trockenes Wetter geben? Ein einziger Rock soll dir genügen für Winter und Sommer, wie geschrieben steht; und wenn dich sein abgetragenes Äußere betrübt, so ziehe gleich von Anfang an etwas Abgetragenes an und du wirst zufrieden sein. [930] Die Lehre dieser Welt ist S. 208 ähnlich dem Reise des Jonas, das zu gleicher Zeit sproßte und verdorrte, so daß der Anfang mit dem Ende zusammenfiel. Niemand bemüht sich um Abtötung, sondern da, wo Vergnügungen winken, da streben alle hin; niemand fragt, wo gefastet wird, sondern, wo es Lustbarkeiten gibt.