2.
An einem dieser Tage nun ertönte die Orgel laut, als wir in tiefen Schlaf versunken waren, so daß ich, als ich sie hörte, erschreckt zusammenfuhr. Da eilten wir, ich und die bei mir befindlichen Brüder, uns zu erheben zum heiligen Dienst. Da kam uns gerade ein so recht auf die Gelegenheit passender Psalm1. [80] Denn S. 213 nachdem wir soeben den nichtigen Schall verwünscht hatten, trafen wir alsbald auf jenen lieblichen Psalm, welcher es unternahm, die von der Weltlust aufgestellten Instrumente mit diesen Worten zu tadeln: „Es ist gut den Herrn zu preisen und Deinem Namen, o Höchster, zu lobsingen“. Dieser ganze Psalm ist gleichsam bestimmt zum Kampfe gegen den Toren, welcher Menschen preist und einem sterblichen Namen lobsingt. [90] Die Gnade hat ihn ausgerüstet, um die verächtlichen Melodien zu vertreiben, um abzuschaffen und auszustoßen jene verderblichen Lieder, welche die ruhenden Sinne zur Unkeuschheit und Ausgelassenheit aufwecken. Die Harfe Davids bot sich mir dar und ich ergriff sie, um sie zu schlagen und so gleichsam jene rasenden und ausschweifenden Töne zu vertreiben, welche dem bösen Geiste Sauls gleichen2. [100] Das Saitenspiel des Sohnes Jesses ist gewohnt, den bösen Geist zu verscheuchen, den von Dämonen Gequälten Verstand und den Rasenden Einsicht zu verleihen. Denn David sang dem König Saul vor, um ihn aus einem Wahnsinnigen zu einem Verständigen zu machen. Und vielleicht sang er dem Saul gerade diesen Psalm vor: „Gut ist es, den Herrn zu preisen“, also nicht dich, einen vergänglichen König, [110] „und dem Namen des Höchsten zu lobsingen“, also nicht dem Sohne des Kisch. Der törichte Saul merkte nicht, daß David so sang; er meinte, daß dieser ihn verherrlichen wollte, während er doch dem Herrn lobsang. Der Rasende bemerkte nicht, daß Davids Worte nicht bestimmt waren, ihn zu preisen. Vielleicht murmelte auch David vor Saul diese Rede nur zwischen den Lippen. [120]
Aber auch zu meiner heilsamen Ermahnung hatte mir die göttliche Gnade diese Worte: „Es ist gut, den Herrn zu preisen und Deinem Namen, o Höchster, zu lobsingen“ zur rechten Zeit in Erinnerung gebracht. S. 214 Denn der süße Klang der Orgel hatte auch meinen Sinn an sich gezogen und dadurch die Saiten meiner Geistesharfe erschlafft. Als ich so dieser Musik mit Wohlgefallen nachhing, erschien dieser Psalm, um meine schlaff gewordenen Saiten wieder anzuspannen. [130] Er riß mich von der Melodie los, die mich gefesselt hatte, und unterjochte mich dem Staunen über seinen Inhalt. Ich sang ihn also, wie geschrieben steht3, zugleich mit meinem Geiste und meinem Verstande; während der Rezitation kostete ich auch das Verständnis seines Inhaltes. Während sich die Zunge mit der Rezitation beschäftigte, übte sich der Verstand an der Auslegung; die Gewohnheit ordnete die Worte an, aber der Verstand entwarf ihre Deutung. [140] Die Überlegung verband sich mit der Zunge und die Auslegung mit der Rezitation, während sich über alle vier wie über einen Wagen der Verstand als Wagenlenker erhob. Er trieb die Worte so, daß sie ihr Verständnis zeigen und ihn anweisen mußten, wie er jenen verkehrten Gesang von sich stoßen könne.
„Gut ist es, den Herrn zu preisen“, und kein Gut ist uns verliehen, was diesem an Wert gleichkäme. [150] „Und Deinem Namen, o Höchster, zu lobsingen“, und kein Gesang ist diesem zu vergleichen. „Wir wollen Deine Gnade am Morgen verkündigen“, weil Du, o Herr, uns gewürdigt hast, Dich durch Nachtwachen zu feiern. Auf daß wir zur Nachtzeit vor Dir lobsingen und am Morgen Dein Angesicht suchen, wollen wir am Morgen Deine Gnade verkünden „und in der Nacht Deine Treue“. Denn die Toren, welche nicht auf Dich vertrauen, quälen sich Nacht für Nacht nutzlos ab. [160] „Ich will das Dekachord anschlagen“, nämlich ich will Dir mit allen meinen Sinnen lobsingen und Deine Majestät preisen, indem ich die zehn Finger meiner Hände ausbreite. „Du hast mich erfreut, o Herr, durch Deine Werke und ob des Werkes Deiner Hände will ich mich rühmen.“ Alles Geschaffene hast Du durch bloßen Befehl hervorgebracht, nur der Mensch ist das Werk Deiner eigenen Hände4. Meiner, des von Dir S. 215 Gebildeten, will ich mich rühmen, denn ich bin Deine mit Rede und Vernunft begabte Zither. [170] Im Namen alles dessen, was Dein Befehl geschaffen hat, werde ich mir als das Werk Deiner Hände erhaben vorkommen. „Wie groß sind Deine Werke, o Herr“, aber noch größer ist der, welcher sie erkennt. Da ich nun erkenne, daß Deine Schöpfung groß ist, so bin ich größer als alles, was Du geschaffen hast. „Sehr tief ist Dein Gedanke“; ich begann über Dich nachzuforschen, aber Du bist mir unergründlich. Zu tief verborgen bist Du für meinen Geist, und zu geheimnisvoll ist mir Dein Gedanke. [180] „Der törichte Mensch erkennt dies nicht“, nämlich der, welcher vor der Türe eines anderen Menschen singt, bedenkt es nicht, daß er seine Nachtwache besser zur Erwerbung des ewigen Lebens benützen könnte. „Und der Unverständige sieht dies nicht ein“, um wie viel schöner unser Gesang ist wie der seinige. Er läßt den besseren Anteil fahren und lobsingt der Eitelkeit. „Du, o Herr, bist erhaben auf ewig“ und verleihst ewigen Lohn. [190] „Der Gottlose aber schwindet dahin wie Kraut“, und wer ihn besingt, ist um seinen Lohn betrogen. „Der Feind des Herrn geht zugrunde und die Übeltäter werden zerstreut“; wer also singt, um sie zu erfreuen, dessen Mühe bleibt unbelohnt. Er strengt sich an, um den Nichtigen zu besingen, und unterläßt es, Dir zu lobsingen; er gibt die heiligen Melodien auf und dient sündigem Gesange. [200] „Du hast meine Hörner erhöht gleich denen der Einhörner, und hast mich mit Freudenöl gesalbt; meine Augen haben Dein Heil geschaut und meine Ohren Deine Verheißung gehört. Denn der Gerechte wird blühen wie eine Palme, und wachsen gleich den Zedern des Libanon“, deren Blätter nie abfallen und deren Pracht nie vergeht. „Denn er ist eingepflanzt im Hause Gottes und in seinen heiligen Vorhöfen“, [210] wo der Geist schwebt und ihn durch sein Wesen tränkt. Durch den Gesang des Geistes wächst er, und sproßt auf gleich den Zedern des Libanon. „Noch in seinem Greisenalter blüht er aufs neue wieder auf“, weil er aus jenen Melodien Verjüngung einsaugt, „und er wird stark und anmutig, weil er die Geheimnisse des Hl. Geistes hört. „Und er ver- S. 216 kündigt, daß der Herr gerecht ist“, und denen, die ihm in Nachtwachen dienen, ihren Lohn verleiht. [220] „Obgleich er allmächtig ist“ und den Lohn ungestraft verweigern könnte, „so ist doch in ihm keine Ungerechtigkeit“ und Lohnverweigerung.
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Aus dieser Stelle ergibt sich, daß im syrischen Offizium schon zur Zeit Isaaks Psalmen vorkamen, welche nach den Wochentagen abwechselten. Noch jetzt beginnen die einzelnen Horen im syrischen Ritus mit einer solchen wechselnden Psalmodie, obgleich die gedruckten Breviere nichts davon erwähnen. Der Psalm 91 wird nach der gegenwärtigen Praxis in der Matutin des Freitags rezitiert. ↩
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Vergl. 1 Sam. 16, 15 ff. ↩
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1 Kor. 14, 15. ↩
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Vergl. Gen. 1, 26. ↩