3. Die literarische Bedeutung und das Nachleben des hl. Fulgentius
Wie schon der Überblick über das Schriftgut des Bischofs von Ruspe gezeigt hat, sind seine Werke meist den apologetischen Forderungen des Augenblicks entsprungen. Mit dieser Feststellung ist zugleich auch ein Urteil über die Bedeutung des hl. Fulgentius selbst gefällt. Wenn Bossuet den Bischof von Ruspe als „den größten Theologen seiner Zeit„ gefeiert hat, so sind wir heute wieder mehr geneigt, mit dem Gebrauch von Hyperbeln vorsichtig zu sein. Ein origineller Theologe oder ein tiefgründiger spekulativer Kopf war Fulgentius nicht; von einer Weiterbildung oder Befruchtung des Dogmas durch ihn kann keine Rede sein. Seine unbestreitbare Bedeutung beruht darin, daß er als vorwiegend rezeptiver Geist das große Erbe eines Leo des Großen, eines Ambrosius, Gelasius, Cassian, eines Gregor von Nazianz, Cyrill von Alexandria, eines Theodoret und der afrikanischen Kirchenschriftsteller mit großer Belesenheit und meisterhafter Dialektik und Schlagfertigkeit im Kampf gegen die Häresien seiner Zeit zu verwenden wußte; am liebsten aber wandelte er in den Spuren des hl. Augustinus, dessen Gedankengut er mit solcher Treue gehütet hat, daß man ihn auch den „abgekürzten Augustinus“ nannte. S. 31 Sein Stil ist durchgehends klar und einfach; klassische Kürze und Eleganz ist in seinen Schriften noch nicht in dem berüchtigten afrikanischen Schwulst untergegangen. Bewunderung verdient seine außerordentliche Kenntnis der Hl. Schrift, die er meist nach der Vulgata zitiert.
Auf eine in neuerer Zeit aufgetauchte Vermutung muß in diesem Zusammenhang noch besonders hingewiesen werden. In einem Aufsatz in der Zeitschrift für katholische Theologie1 hat J. Stiglmayr auf Grund eingehender Vergleiche mit fulgentianischen Schriften die Behauptung aufgestellt, daß kein anderer als Fulgentius als Verfasser des sog. Symbolum Athanasianum in Frage kommt. Schon Kardinal Lavigerie hat diese Vermutung ausgesprochen, der sich auch Lapeyre anschließt.2 Tatsächlich hat diese Vermutung, wie sich vor allem in einem Vergleich zwischen dem Athanasianum und der Schrift „De fide„ zeigt, sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich.
Für die Hochschätzung, die Fulgentius im Urteil des Mittelalters genoß, zeugt die große Zahl von Handschriften seiner Werke in den Klosterbibliotheken; besonderer Beliebtheit erfreute sich die kurze, klare Zusammenfassung der wichtigsten Glaubenslehren in dem Buch „De fide“.
Auch die kirchliche Liturgie hat Fulgentius einen, wenn auch bescheidenen, Ehrenplatz gesichert. So sind die Lektionen der zweiten Nokturn des römischen Breviers am Feste der heiligsten Dreifaltigkeit seiner Schrift: „De fide„ entnommen; am Fest des hl. Stephanus lesen wir den Anfang seiner berühmten Predigt, die auf die Nachwelt großen Eindruck gemacht und vielfach als Vorbild gedient hat, und ebenso am Freitag in der Oktav des Epiphaniefestes den Anfang seiner vierten Predigt.
Der Name des Fulgentius erscheint zum ersten Male in einem in Lyon im Jahre 806 geschriebenen Martyrologium. Hier heißt es zum 1. Januar: „Depositio beati Fulgentii episcopi, viri doctissimi, qui ab arianis multa perpessus, caesus ac decalvatus, in sanctae fidei doctrina consenuit.“ Besondere Verehrung genoß Fulgentius in der Stadt Bourges, die sich des Besitzes seiner Reliquien S. 32 rühmte. Der hl. Fulgentius war dort Patron einer Pfarrkirche, die wahrscheinlich im Jahre 1080 der Abtei von Plaimpied, die von Augustinerchorherren besiedelt war, unterstellt wurde. Man feierte in Bourges am 2. Januar drei Tage hindurch das Todesfest des Heiligen, am 6. Mai die Übertragung seiner Reliquien. Die ihm geweihte Kirche wurde im Jahre 1797 als Nationalgut verkauft, seine Reliquien öffentlich verbrannt. Heute trägt noch ein Altersheim in Bourges den Namen des Bischofs von Ruspe.