Einleitung.
S. 291 Diese zu Unrecht dem Klemens zugeschriebene Abhandlung, die fälschlicherweise als Brief ausgegeben wird, hat fast die gleiche handschriftliche Überlieferung wie der echte Klemensbrief; nur fehlt im codex Alexandrinus von c. 12, 5 ab alles; die fehlenden Kapitel aber enthalten den entscheidenden Beweis dafür, dass diese Schrift kein Brief, sondern eine Homilie ist.
Das erste, recht vorsichtige Zeugnis für den „II. Klemensbrief“ findet sich bei Eusebius1: „Man muss wissen, dass auch ein zweiter Brief des Klemens vorhanden sein soll; aber wir haben von diesem keine so genaue Kenntnis wie von dem ersten, weil wir nicht einmal wissen, ob die Alten ihn benützt haben.“ Ganz ablehnend klingt das Zeugnis des Hieronymus:2: „Es geht auch ein zweiter Brief unter seinem (= des Klemens) Namen, der aber von den Alten nicht anerkannt wird.“ Dass dieser Brief an die Korinther gerichtet sei, behauptet Hieronymus nicht. Zum erstenmal taucht diese Nachricht außer in dem codex Alexandrinus in einer pseudojustinischen Schrift aus dem fünften Jahrhundert3 auf. Photius4 lehnt die Echtheit des Briefes ab und tadelt, dass dieser zweite Brief erbauende und ermahnende apokryphe Stellen als Schriftworte zitiere, ein Fehler, von dem auch der erste Klemensbrief nicht ganz frei sei.
Diese Zweifel und die Ablehnung der Echtheit durch die Alten bestehen ganz zu Recht, und zwar aus folgenden Gründen: Der Bischof Dionysius von Korinth5 S. 292 kennt in seinem Antwortschreiben an Papst Soter (165-174) ums Jahr 170 nur einen Klemensbrief; bei der Wertschätzung dieses Briefes in der korinthischen Gemeinde, die sich in dem Vorlesen des Briefes bei Gottesdiensten bekundete, ist es unerklärlich, dass ein zweiter Brief des gleichen Autors, und zwar ausgesprochen homiletischen Charakters dieser Ehre nicht für würdig erachtet worden und schon nach einem starken halben Jahrhundert der Vergessenheit überantwortet gewesen wäre. Die Homilie kennt den Gnostizismus6 schon, kann also der Zeit nach nicht leicht von Klemens Romanus herstammen, unterscheidet sich in sprachlicher Hinsicht vom echten Klemensbrief und ist endlich nicht in Rom (Harnack) abgefasst, sondern wie Funk7 überzeugend darlegt, in Korinth entstanden. Denn wenn der Verfasser c. 7, 3 sagt: πολλοὶ εἰς αὐτὸν (=τὸν ἀγῶνα) καταπλεύσωμεν8, so kann damit von den beiden Städten nicht Rom, sondern nur die Seestadt Korinth im Hinblick auf die isthmischen Spiele und den ersten Korintherbrief Pauli9 gemeint sein. Diese Feststellung des Abfassungsortes entkräftet auch die andere Ansicht, es sei der von Papst Soter um 170 an die Gemeinde von Korinth gesandte Brief10. Die Homilie ist alt und reicht wohl in die Zeit um oder vor 15011. Der homiletische Charakter der Schrift ist über allen Zweifel erhaben, wenn auch schon früh die Einkleidung in Briefform für rein theoretische Abhandlungen gewählt wurde, wie wir es oben im ersten Teil des Barnabasbriefes gesehen haben12. Ganz bestimmtes Zeugnis hierfür legen folgende zwei Stellen ab13: „Nicht bloß in diesem Augenblicke, da wir von den Presbytern ermahnt werden, soll es den Anschein haben, dass wir glauben und aufmerken, sondern wenn wir uns nach S. 293 Hause begeben haben, wollen wir der Gebote des Herrn eingedenk sein“ usw., und die andere 14: „Brüdern und Schwestern, so lese ich denn, nachdem ihr den Gott der Wahrheit angenommen habt, euch die Bitte vor, auf die Schrift zu achten, damit ihr sowohl euch selbst rettet als auch mich, der ich unter euch die Vorlesung besorge.“
Der Inhalt der Homilie ist ziemlich allgemein. Die Vorstellung des Christen über Gott, den Richter der Lebenden und Toten, muss Gottes Größe entsprechend sein; durch die Erfüllung seiner Gebote und durch die Verachtung der weltlichen Genüsse sollen wir ihn verherrlichen, damit wir das ewige Leben erhalten; wir werden in diesem Fleische auferstehen. Almosen geben deckt viele Sünden zu, und den Schwachen sollen wir helfen, in Gottes Geboten zu wandeln.
Wenn auch diese Homilie kein Werk des Klemens Romanus ist, so dürfte sie doch wegen ihres hohen Alters und wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser literarischen Gattung einen Platz finden in dieser Väterausgabe.
-
Hist. Eccl. III 38, 4. ↩
-
De vir. ill. 15. ↩
-
Respons. Ad orthod. 74 (Otto, Corpus apologet. III 108). ↩
-
Biblioth. 113, 126. ↩
-
Bei Euseb., Hist. Eccl. IV 23, 9. ↩
-
c. 9. ↩
-
Kirchengesch. Abhandlg. u. Untersuch. III (1907) 266 ff. ↩
-
Ähnlich c. 7, 1. ↩
-
1 Kor 9:24, 25. ↩
-
Euseb., Hist. Eccl. IV 23, 9. 11. ↩
-
Funk, Patres apost. I (2. Aufl.) LII. ↩
-
E. Henecke, Neutestam. Apokr. (1904) 80-83. ↩
-
c. 17, 3. ↩
-
19, 1; vgl. c. 15, 2. Die Homilie wurde also vorgelesen, nicht frei vorgetragen wie sonst: Just. apol. I 67; Tertull. de anim. 9. ↩