3. Angeklagte sollen sich rechtfertigen, die Richter aber gerecht urteilen.
S. 67 Damit man aber dieses nicht für ein unsinniges und keckes Gerede halte, verlangen wir, daß die Anschuldigungen gegen sie geprüft werden und daß sie, wenn jene sich als begründet herausstellen, nach Gebühr bestraft werden. Wenn man aber nichts nachweisen kann, so verbietet die wahre Vernunft, auf ein übles Gerücht hin unschuldigen Menschen Unrecht zu tun oder vielmehr euch selbst, wenn ihr nicht nach vernünftiger Entscheidung, sondern nach Leidenschaft die Dinge zu verhängen beliebet. Denn für eine angemessene, ja für die einzig gerechte Forderung wird jeder Vernünftige die erklären, daß die Untergebenen von ihrem Leben und von ihrem Denken eine Rechenschaft ablegen, der man nichts anhaben kann, daß aber ihrerseits auch die Machthaber sich hei Abgabe ihres Urteils nicht von Gewalttätigkeit und Willkür, sondern von Frömmigkeit und Wahrheitsliebe leiten lassen; denn nur so werden sowohl die Regierenden, als auch die Regierten des Glückes teilhaftig. Sagte doch auch irgendwo einer der Alten: „Wenn nicht Regierende und Regierte Philosophen sind, können die Staaten nicht gedeihen“1. Unsere Aufgabe ist es also, in unser Leben und in unsere Lehren allen Einsicht zu verschaffen, damit wir nicht für solche, die erfahrungsgemäß mit unseren Verhältnissen unbekannt sind und aus Unwissenheit fehlen, selbst die Strafe auf uns laden; eure Sache aber ist es, uns, wie die Vernunft es fordert, anzuhören und euch als gerechte Richter zu erweisen. Denn seid ihr einmal unterrichtet, so wird euch fürderhin keine Entschuldigung bei Gott mehr zustehen, wenn ihr nicht Gerechtigkeit übet.
Diesen Ausspruch Platons (de rep. V p. 473 de, wo aber (καὶ ἀρχομένους) fehlt) führte Kaiser Mark Aurel oft im Munde. ↩
