98.
1. Da sie daher auf ihre eingebildete Weisheit stolz sind, fangen sie fortwährend Streit an, wobei es sich klar zeigt, daß sie mehr darauf bedacht sind, als Philosophen zu erscheinen, als wirklich Philosophen zu sein.
2. Deshalb legen sie den Tatsachen keine notwendigen Prinzipien zugrunde, sondern lassen sich von menschlichen Meinungen beeinflussen; dann ziehen sie aber die aus ihnen1 notwendig folgenden Schlüsse und streiten, um nicht des Irrtums überführt zu werden, aufs heftigste mit den Vertretern der wahren Philosophie. Und sie wollen lieber alles ertragen und setzen, wie man sagt, lieber alle Hebel in Bewegung,2 als daß sie ihren Irrtum aufgeben, S. c102 selbst wenn sie infolge ihres Unglaubens gegenüber der Heiligen Schrift zur Gottlosigkeit verführt werden sollten. Der Grund für dieses Verhalten ist aber, daß sie auf ihre Richtung so stolz sind und daß sie in ihren Versammlungen so gern die vielgenannten ersten Plätze3 einnehmen wollen, weswegen sie auch den Vorsitz bei jenen Trinkgelagen ihrer fälschlich so genannten Liebesmahle4 erstreben.
3. Die volle Erkenntnis der Wahrheit aber, die sich bei uns findet, gewinnt aus dem, was schon sicher ist, den Glauben an das, was noch nicht sicher ist,5 und dieser Glaube ist sozusagen die Grundlage des Beweises.
4. Aber jede Art von Irrlehre hat, wie es scheint, überhaupt kein Gehör, um das zu hören, was frommt, sondern ihre Ohren sind nur für das geöffnet, was zur Lust hinführt. Denn sonst wäre auch mancher von den Irrlehrern wieder auf den richtigen Weg gebracht worden, wenn er nur der Wahrheit hätte gehorchen wollen.
5. Dreifach ist aber der Weg zur Heilung für die Einbildung, wie für jede geistige Erkrankung: zuerst muß man die Ursache erkennen; sodann feststellen, wie diese Ursache beseitigt werden kann; das dritte aber ist, daß die Seele geübt und daran gewöhnt wird, dem zu folgen, was man als richtig erkannt hat.6