119.
1. Wenn es wenigstens ohne sie möglich wäre, zu trinken oder Nahrung aufzunehmen oder Kinder zu erzeugen, so könnte nicht gezeigt werden, daß noch ein Bedürfnis für sie vorhanden ist.
2. Denn die Lust ist weder eine Tätigkeit noch ein Zustand1 noch auch ein Teil von uns, sondern sie kam nur, um einen Dienst zu leisten, in unser Leben herein, so wie man vom Salz sagt, daß es nur dazu da sei, die Speisen leichter verdaulich zu machen.
3. Wenn sich die Lust aber empört und sich die Herrschaft über das ganze Haus angemaßt hat,2 dann erzeugt sie zuerst die Begierde, die ein unvernünftiges Streben S. a236 und Verlangen3 nach dem ist, was ihr erwünscht ist;4 diese veranlaßte auch den Epikuros, die Lust als höchstes Ziel des Philosophen anzusetzen.
4. Er erklärt wenigstens „das gleichmäßige Wohlbefinden des Fleisches und die in Beziehung darauf zuversichtliche Hoffnung“ für etwas Göttliches.5
5. Denn was ist die Schwelgerei anderes als genußsüchtige Lüsternheit und unnütze Maßlosigkeit derer, die der Wollust ergeben sind?
6. Nachdrücklich schreibt Diogenes in einer Tragödie: „Die, deren Herz durch Lüste angefüllt ist Vom Trieb nach weichlicher und schmutz'ger Schwelgerei, Die auch die kleinste Mühe scheuen“,6 und die folgenden Worte, die freilich nicht schön lauten, aber so, wie es die Lüstlinge verdienen.
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Als Tätigkeit ist die Lust von Aristoteles, Eth. Nik. 7,13 p. 1143a 14, als Zustand von dems., Reth. I 11 p. 1370 a 2 bezeichnet. ↩
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Vielleicht ist statt (xxx) mit Münzel (xxx) zu lesen und dann zu übersetzen: „und das Steuerruder ergriffen hat“. ↩
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Vgl. Paid. I 101,1 mit Anm. ↩
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Chrysippos Fr. mor. 405 v. Arnim. ↩
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Epikuros Fr. 68 Usener p. 121,34; 344,30; vgl. Strom. II 131,1 mit Anm. ↩
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Diogenes von Sinope Fr. inc. 1 TGF p.808f. ↩