116.
1. Der Traum besteht darin, daß die Seele eine bloße Vorstellung für etwas Wirkliches hält;1 im Wachen aber träumt, wer seine Begierde durch einen Anblick entflammen läßt, nicht nur, wie jener angebliche Gnostiker sagte, dann, wenn er sich bei dem Anblick des Weibes in Gedanken zugleich auch die Umarmung mit ihr vorstellt (denn das ist ja gerade das für die Begierde als Begierde kennzeichnende Tun) sondern wenn jemand auf die Schönheit des Körpers sieht, das ist es, was das Wort des Herrn meint, und ihm in seiner Begierde das Fleisch schön erscheint, dann wird er verurteilt, weil bei seinem bewundernden Schauen sein Sehen fleischlich und sündig war.
2. Denn wer umgekehrt in reiner Liebe auf die Schönheit hinblickt, der hält nicht das Fleisch, sondern die Seele für schön, wobei er den Körper, meine ich, wie ein Standbild bewundert und durch dessen Schönheit seine Gedanken auf den Künstler und auf das wahrhaft Schöne hinlenken läßt; dabei zeigt er den Engeln, die den Aufstieg überwachen, als heilige Erkennungsmarke das leuchtende Gepräge der Gerechtigkeit, ich meine die Salbung des Wohlgefallens, die Eigenart der Anlage, die der Seele eingeprägt ist, die durch die Einwohnung des Heiligen Geistes mit leuchtendem Glanz geschmückt ist.
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Die Ausdrücke sind stoisch; vgl. z.B. Plut. Mor. p. 1057 B. ↩