17.
1. Die Erkenntnis der Unwissenheit ist das, was jeder, der vernunftgemäß wandeln will, zuerst gewinnen muß. Wenn einer merkt, daß er etwas nicht weiß, dann beginnt er zu suchen, und wenn er gesucht hat, findet er den Lehrer, und wenn er ihn gefunden hat, dann glaubt er ihm, und wenn er ihm geglaubt hat, dann liebt er ihn,1 und wenn er ihn liebgewonnen hat, wird er dem Geliebten S. b132 ähnlich, indem er sich beeilt, das zu sein, was er zuvor liebgewonnen hatte.
2. Eine solche Art der Entwicklung zeigt Sokrates dem Alkibiades, als dieser folgende Frage an ihn richtete: „Glaubst du nicht, daß ich auf andere Weise etwas über die Gerechtigkeit erfahren könnte? - Ja, wenn du es findest. - Aber glaubst du nicht, daß ich es finden kann? - Durchaus, wenn du es suchen wirst. - Glaubst du denn nicht, daß ich es suchen werde? - Doch gewiß, wenn du nämlich überzeugt bist, es nicht zu wissen.“2
3. Solcher Art sind auch die Lampen der klugen Jungfrauen, die nachts angezündet waren in der tiefen Finsternis der Unwissenheit, die die Schrift sinnbildlich „Nacht“ nannte. Kluge Seelen, rein wie Jungfrauen, die erkannt haben, daß sie sich in der Unwissenheit der Welt befinden, zünden das Licht an und wecken ihren Geist auf und machen die Finsternis hell und treiben die Unwissenheit hinaus und suchen die Wahrheit und warten auf das Erscheinen des Lehrers.3
4. „Daß die Masse, so sagte ich, weisheitsliebend werden kann, ist unmöglich.“4 „Viele sind Narthexträger, nur wenige aber Bakchen“, wie Platon sagt.5
5. „Denn viele sind berufen, nur wenige aber sind auserwählt.“6 Und „nicht bei allen“ sagt der Apostel, „ist die Erkenntnis“.7 „Betet, daß wir von den törichten und schlechten Menschen gerettet werden; denn nicht bei allen ist der Glaube.“8
6. Und die philosophische Dichtung des Stoikers Kleanthes schreibt das gleiche ungefähr mit folgenden Worten: „Willst du zur Weisheit gelangen, so darfst du aufs Meinen nicht blicken Und dich nicht fürchten vor dummen und dreisten Gedanken des Pöbels! Denn er besitzt kein verständiges Urteil darüber, was recht ist, Oder was gut ist; bei wenigen Menschen nur kannst du es finden.“9
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Ich lese mit H. Richards (xxx) statt (xxx) ↩
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Platon, Alkibiades p. 109 E. ↩
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Vgl. Mt 25,1-13; Strom. VII 72,5.6. ↩
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Platon, Saat VI 494 A. ↩
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Ebd., Phaidon p. 69 C; vgl. Strom. I 92,3. Mit Narthex wurde der Stab (Thyrsos) der Bakchosverehrer bezeichnet. ↩
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Mt 22,14. ↩
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1Kor 8,7. ↩
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2Thess 3,1 f. ↩
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Kleanthes Fr. 559 v. Arnim. ↩