98.
1. Man soll also nicht behaupten, daß derjenige, der Unrecht und Sünde tut, sich infolge der Wirkung von bösen Geistern verfehle; denn dann würde er ja keine Strafe verdienen; vielmehr wählt er beim Sündigen das gleiche wie die bösen Geister, indem er in seinen Leidenschaften unstet und leichtfertig und wankelmütig ist wie ein böser Geist, und wird so ein von bösen Geistern besessener Mensch.
2. Wer aber von Natur böse ist, wird wegen seiner Schlechtigkeit zum Sündigen geneigt und ist so ein böser Mensch geworden, da er sich mit freiem Willen zur Sünde entschloß und sie jetzt an sich trägt; da er zum Sündigen geneigt ist, sündigt er auch mit der Tat, und umgekehrt tut der sittlich Gute auch Gutes.
3. Darum nennen wir nicht nur die Tugenden, sondern auch die schönen Taten gut. Vom Guten wissen wir aber, daß das eine seiner selbst wegen zu erstreben ist, wie z.B. die Erkenntnis (denn wir wollen durch sie nichts anderes erlangen, wenn wir sie einmal besitzen, sondern wünschen nur, daß sie bei uns ist und wir in unaufhörlichem Schauen bleiben und daß wir um sie und ihretwegen kämpfen), das andere ist wegen etwas anderem erstrebenswert,1 wie es z.B. der Glaube wegen der mit ihm verbundenen Folgen ist, daß wir nämlich durch ihn der Strafe entrinnen und als S. b305 Gegengabe für ihn Heil erlangen. Denn bei den meisten ist die Furcht die Ursache dafür, daß sie nicht sündigen, und die Verheißung die Veranlassung dazu, daß sie sich um den Gehorsam bemühen, dessen Wirkung das Heil ist.
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Chrysippos Fr. kor. 110 v. Arnim. ↩