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S. 102 Nachdem das erste Buch unserer Entgegnung auf die Schrift des Celsus, der er den Titel "Wahres Wort" gegeben hat, umfangreich genug geworden war, haben wir es mit der Rede, die der Jude an Jesus richtet, abgeschlossen. Wir nehmen uns nun vor, dieses zweite Buch auszuarbeiten, um die Angriffe zurückzuweisen, die Celsus gegen "die aus dem jüdischen Volke zu Jesus Bekehrten" richtet. Und diesen Punkt erwägen wir zuerst, warum wohl Celsus, wenn er sich einmal entschlossen hatte, eine erdichtete Person einzuführen, den Juden nicht zu den Heidenchristen, sondern zu den Judenchristen reden läßt. Denn seine gegen uns Christen gerichtete Rede würde dann den Schein der größten Glaubwürdigkeit gehabt haben. Aber vielleicht kennt der Mann, der sich rühmt1 "alles zu wissen", die passende Weise nicht, in der Personen sprechen müssen, die redend eingeführt werden.
Wir wollen nun bedenken, was er den gläubig gewordenen Juden zu sagen hat. Er behauptet: "dass sie, verführt von Jesus, ihr von den Vätern ererbtes Gesetz verlassen hätten und in ganz lächerlicher Weise betrogen worden wären und zu einem andern Namen und zu einem andern Leben übergelaufen seien" , wobei er nicht einmal dies bedenkt, dass die zum Glauben an Jesus bekehrten Juden "ihr von den Vätern ererbtes Gesetz" gar nicht "verlassen haben". Denn sie leben nach dessen Vorschriften und haben auch von der Armut des Gesetzes, die dann vorhanden ist, wenn man es (nur im buchstäblichen Sinne) versteht, ihren Namen erhalten.2 "Ebion" hat nämlich bei den Juden die Bedeutung "der Arme", und Ebioniten heißen die Juden, welche Jesus als den Messias S. 103 anerkennen. Auch Petrus scheint geraume Zeit die dem Gesetze des Moses entsprechenden jüdischen Gebräuche beobachtet zu haben, da er noch nicht von Jesus gelernt hatte, sich vom buchstäblichen zum geistigen Verständnisse des Gesetzes zu erheben. Wir erfahren dies aus der Apostelgeschichte. "Am folgenden Tage" so heißt es nämlich da, nachdem Cornelius die Erscheinung eines Engels Gottes gehabt hatte, der ihm gebot, Männer "nach Joppe" zu senden zu Simon, der auch Petrus hieß3, "stieg Petrus auf das Dach des Hauses, zu beten um die sechste Stunde. Da wurde er hungrig und verlangte zu essen. Als sie ihm nun zurichteten, kam über ihn eine Entzückung und er schaute den Himmel geöffnet und ein Gerät herabkommen, wie ein großes leinenes Tuch, an den vier Enden zur Erde herabgelassen, in welchem alle vierfüßigen und kriechenden Tiere der Erde und Vögel des Himmels waren.
Und eine Stimme erging an ihn: Steh auf, Petrus, schlachte und iß! Petrus aber sprach; Das sei ferne, Herr, denn niemals habe ich etwas Gemeines und Unreines gegessen. Und zum zweiten Male sprach eine Stimme zu ihm;: Was Gott gereinigt hat, das erkläre du nicht für gemein!"4 In diesen Worten ist doch offenbar Petrus als ein Mann dargestellt, der die jüdischen Satzungen über reine und unreine Speisen noch beobachtet. Und aus dem folgenden ersehen wir, dass es einer Erscheinung bedurfte, um ihn zu veranlassen, die Glaubenslehren dem Cornelius, der nicht von israelitischer Herkunft war, und seinen Freunden mitzuteilen5. Petrus war eben noch Jude, der nach den jüdischen Überlieferungen lebte <und6> die außerhalb des Judentums Stehenden verachtete. Auch Paulus bezeugt in seinem Brief an die Galater, dass Petrus noch aus Furcht vor den Juden nach der Ankunft des Jakobus nicht mehr mit den Heiden aß und "sich von ihnen absonderte aus Furcht vor denen, die aus der Beschneidung S. 104 waren"7; dasselbe taten die übrigen Juden und Barnabas8.
Und es war auch natürlich, dass die zu den Juden abgesandten Apostel sich nicht über die jüdischen Gebräuche hinwegsetzten, "als die, die für Säulen galten, dem Paulus und Barnabas die Hand der Gemeinschaft darauf gegeben hatten, indem sie selbst zu den Beschnittenen gingen, damit jene den Heiden predigen sollten"9. Und was sage ich, dass jene von den Heiden sich fernhielten und absonderten, die unter den Juden predigten. da selbst Paulus "dem Juden ein Jude" wurde,"um Juden zu gewinnen"10? Deshalb brachte er auch, wie die Apostelgeschichte berichtet, ein Opfer zum Altar, um die Juden zu überzeugen, da0 er vom Gesetze nicht abgefallen sei11. Hätte Celsus dies alles gewußt, so hätte er seinen Juden nicht diese Worte "zu den Bekehrten aus dem Judentume" sprechen lassen: "Was ist euch widerfahren, ihr Bürger, dass ihr das von den Vätern ererbte Gesetz verlassen habt und von jenem, mit dem wir uns eben unterredet haben, verlockt, in ganz lächerlicher Weise betrogen worden, und von uns zu einem andern Namen und zu einem andern Leben übergelaufen seid?"
