19.
S. 194 Gestatte nun, daß wir auch noch eine andere Verleumdung ins Auge fassen, und erlaube mir, daß ich auch gegen diese mich vertheidige. Sie haben nämlich auch diese Verleumdung gegen mich vorzubringen gewagt, daß ich Deinen Befehlen nicht gehorcht und die Kirche nicht verlassen habe. Es nimmt mich nun Wunder, daß sie in ihren Ränken nicht ermüden. Aber auch ich werde dessenungeachtet nicht müde, sondern es macht mir vielmehr ein Vergnügen, mich zu vertheidigen. Denn in je mehr Punkten ich mich zu vertheidigen habe, um so mehr kann sie die Verurtheilung treffen. Ich widersetzte mich dem Befehle Deiner Gottesfurcht nicht. Das sei ferne! Denn ich hielt mich nicht für so groß, um mich auch nur dem Stadtpräfekten zu widersetzen, geschweige denn einem so großen Kaiser. Und ich brauchte hierüber nicht mehr Worte zu machen, denn die ganze Stadt kann es mir bezeugen. Erlaube mir aber gleichwohl, auch diese Sache von Anfang an zu erzählen. Denn wenn Du es vernommen hast, so wirst Du Dich, dessen bin ich gewiß, über den Leichtsinn meiner Feinde wundern. Montanus vom Palaste überbrachte mir einen Brief, als ob ich schriftlich nachgesucht hätte, nach Italien gehen zu dürfen, damit das, was ich in den kirchlichen Angelegenheiten für mangelhaft halte, verbessert werden könnte. Deiner Frömmigkeit bin ich nun dankbar, daß sie sich gewürdigt hat, auf mein vorgebliches Schreiben hin mich zu erhören und für meine Reise Vorsorge zu treffen, daß ich dieselbe unternehmen und ohne Mühseligkeit vollenden könnte. Aber es nimmt mich Wunder, daß die, welche Dir ins Gesicht logen, sich nicht scheuten, weil die Lüge dem Teufel eigen ist, und die Lügner dem ferne stehen, der sagt: „Ich bin die Wahrheit.“1 Denn ich schrieb nicht, und nicht wird der Ankläger einen solchen Brief auffinden können.2 Wenn ich auch täglich S. 195 schreiben sollte, um Dein gnädiges Angesicht zu schauen, so ist es weder erlaubt, die Kirchen zu verlassen, noch war es billig, Deine Frömmigkeit zu belästigen, zumal Du auch in unserer Abwesenheit unsere Bitten in Betreff der Kirche uns gewährst. Laß mich nun den Auftrag des Montanus vorlesen! Er lautet also. (Ist nicht mehr vorhanden.)
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Joh. 14. 6. ↩
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Es ist interessant, mit dem, was hier Athanasius sagt, das zu vergleichen, was der Vorbericht zu den Festbriefen und die historia acephala (Larsow S. 34) bringt. Der Vorbericht sagt einfach: Montanus vom Palaste ging zum Bischof, und da ein Tumult entstand, kehrte er unverrichteter Sache zurück. In der historia acephala heißt es umständlicher: "Vier Tage später (nämlich nach dem Abgang der Gesandtschaft des Athanasius an das Hoflager des Kaisers, die aus 5 Bischöfen und 2 Priestern bestand) kam Montanus Palatinus am 28. Pachomius nach Alexandria und übergab dem Bischof Athanasius einen Brief des Kaisers, worin dieser es sich verbat, daß die Gesandtschaft an sein Hoflager komme. Darüber wurde der Bischof sehr bestürzt und das Volk sehr ungehalten. Deßhalb zog Montanus, ohne Etwas ausgerichtet zu haben, wieder ab und ließ den Bischof in Alexandria.“ Daß also Athanasius Alexandria verlassen sollte, geht auch hieraus hervor, und auch in der gar präcisen Fassung des Vorberichts läßt sich erkennen, daß irgend eine Gewaltthat versucht wurde, oder daß man eine solche wenigstens befürchtete. Daß es sich bloß um eine Reise zum Kaiser zur Ordnung kirchlicher Angelegenheiten handelte, scheint weder Athanasius noch das Volk geglaubt zu haben. Ja wenn uns selbst heutzutage eine solche Annahme wenig wahrscheinlich vorkommt, so mochten Athanasius und die Alexandriner damals von der wahren Sachlage ihre feste Überzeugung haben. Das Intriguenspiel, das bei dieser Gelegenheit sich abspann, läßt sich bei den dürftigen Nachrichten, welche wir haben, jetzt wohl nicht mehr mit Sicherheit entwirren. ↩