138. Frage.

Darf in einer Brüderschaft gestattet werden, daß Einer nach eigenem Willen mehr als die Übrigen faste?

Antwort. Da der Herr gesagt hat: „Ich bin vom Himmel herabgekommen, nicht damit ich meinen Willen thue, sondern den Willen des Vaters, der im Himmel ist,“¹ so ist Alles, was Einer aus eigenem Willen thut, zwar Eigenthum dessen, der es thut, aber von der Frömmigkeit entfernt, und es ist zu befürchten, daß er rücksichtlich dessen, was er zu thun scheint, von Gott hören wird: „Auf dich kehrt es zurück, und du wirst darüber herrschen.“² Ja selbst im Guten ist das Streben, mehr thun zu wollen als die Übrigen, ein Fehler der Rechthaberei, der seinen Grund in der Ehrsucht hat. Daß Dieses geboten ist, zeigt der Apostel, indem er sagt: „Denn wir wagen nicht, uns unter Leute zu mengen und zu mischen, die sich selbst empfehlen.“³ Daher müssen wir dem eigenen Willen entsagen und nicht S. 260 mehr thun zu wollen scheinen als die Übrigen, sondern dem Apostel gehorchen, welcher uns ermahnt und sagt: „Ihr möget essen oder trinken oder etwas Anderes thun, so thut Alles zur Ehre Gottes!“⁴ Denn Streitsucht, Ruhmsucht und Selbstgefälligkeit sind Denen ganz fremd, welche den guten Kampf gesetzmäßig kämpfen. Daher sagt Paulus einmal: „Lasset uns nicht ehrsüchtig sein!“⁵ und ein ander Mal: „Wenn aber Jemand streitsüchtig zu sein scheint, wir haben eine solche Gewohnheit nicht, auch nicht die Gemeinden Gottes,“⁶ und an einer andern Stelle: „Wir dürfen uns nicht selbst gefallen,“⁷ und mit noch mehr Nachdruck fügt er hinzu: „Denn Christus gefiel sich nicht selbst.“⁸ Wenn aber Jemand meint, er habe eine größere Strenge nöthig, sei es im Fasten, im Wachen oder in irgend Anderem, so theile er die Ursache, weßwegen er einer größeren Strenge zu bedürfen glaubt, Denen mit, welchen die gemeinsame Sorge anvertraut ist, und beobachte, was Diese für gut halten. Denn oft wird vielmehr auf andere Weise das dem Bedürfnisse Angemessene geschehen müssen.