261. Frage.
Da der Herr verheissen hat: „Alles, um was ihr immer im Gebete mit Glauben bitten werdet, Das werdet ihr erhalten,“1 und wiederum: „Wenn Zwei aus euch auf Erden einstimmig sein werden, um was immer für eine Sache sie bitten mögen, sie wird ihnen werden;“2 warum haben denn selbst die Heiligen nicht erhalten, um was sie baten, wie z. B. der Apostel, welcher gesagt hat: „Um Dieses habe ich dreimal den Herrn gebeten, daß er S. 326 von mir weiche“3 und gleichwohl das Erbetene nicht erlangte, in gleicher Weise der Prophet Jeremias und selbst Moses?
Antwort. Da unser Herr Jesus Christus im Gebete gesagt hat: „Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber,“ und dann hinzufügte: „Doch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe;“4 so müssen wir erstens wissen, daß wir nicht um Alles, was wir wollen, bitten dürfen, daß wir nicht einmal das Nützliche irgend zu bitten verstehen. Denn wir wissen nicht, um was wir, wie es nothwendig ist, bitten sollen. Daher müssen wir mit großer Umsicht die Bitten nach dem Willen Gottes einrichten. Werden wir aber nicht gehört, so sollen wir wissen, daß wir entweder der Geduld oder Ausdauer bedürfen nach dem Gleichnisse des Herrn, nach welchem wir immer beten und nie ermüden sollen, und nach Dem, was er an einem anderen Orte gesagt hat: „Wegen seiner Zudringlichkeit wird er aufstehen und ihm geben, soviel er nöthig hat,“5 oder Besserung und Sorgfalt bedürfen, wie Gott durch den Propheten zu Einigen gesagt hat, indem er sprach: „Wenn ihr auch eure Hände zu mir erhebt, so werde ich doch mein Angesicht von euch wenden, und wenn ihr auch noch soviel betet, so werde ich euch doch nicht erhören; denn eure Hände sind voll Blut! Waschet, reiniget euch u. s. w.“6 Daß aber auch jetzt die Hände Vieler voll Blut werden und sind, dürfen die nicht bezweifeln, welche dem Gerichte Gottes glauben, das er gegen Den, welcher beauftragt war, dem Volke zu predigen, und schwieg, verkündigt hat, indem er sprach: „Das Blut des Sünders wird von den Händen des Wächters gefordert werden.“7 Überzeugt, daß Dieses wahr und unvermeidlich sei, sagte der Apostel: „Von jetzt an bin ich rein von dem Blute Aller; denn ich habe mich nicht geweigert, euch den ganzen Rathschluß Gottes zu S. 327 verkünden.“8 Wenn schon Derjenige, welcher bloß schwieg, des Bluts der Sünder schuldig befunden wird, was soll man dann von Jenen sagen, welche durch Das, was sie thun oder reden, Andere ärgern? Manchmal wird aber auch wegen der Unwürdigkeit des Bittenden die Bitte nicht gewährt, wie es bei David der Fall war, welcher bat, Gott ein Haus zu bauen, aber daran gehindert wurde. Obgleich er das Wohlgefallen Gottes nicht verloren hatte, so wurde er doch jener Ehre nicht für würdig gehalten. Jeremias dagegen scheint wegen der Bosheit Jener nicht erhört worden zu sein, für die er bat. Oft lassen wir aber auch aus Fahrlässigkeit die rechte Zeit, wo wir hätten bitten sollen, vorübergehen und beten dann später unzeitig und vergebens. Was nun die Stelle angeht: „Deßwegen habe ich den Herrn dreimal gebeten, daß er von mir weiche,“ so müssen wir wissen, daß die Unglücksfälle, welche theils die äusseren Verhältnisse, theils den Körper treffen, viele und verschiedene Gründe haben, aus denen Gott sie schickt oder zuläßt nach einer gewissen Anordnung, die zuträglicher ist als die Befreiung von denselben. Ist daher Jemand im Stande zu wissen, daß er durch Gebet und Flehen von dem Unglücke befreit werden muß, so wird er erhört wie die Blinden im Evangelium und die zehn Aussätzigen und viele Andere; kennt aber Jemand die Ursache nicht, weßwegen er in Versuchung gefallen — denn er muß oft auch durch Geduld den Zweck der ihm aufgelegten Übel erfüllen — , und bittet er, da er sie doch hätte bis zum Ende ertragen sollen, um Abwendung derselben, so wird er nicht gehört, weil er der Absicht der Güte Gottes nicht entspricht. Die Worte aber: „Wenn Zwei von euch übereinstimmen werden,“ erklärt der Abschnitt selbst; denn er spricht von Dem, welcher den Sünder, zurechtweist, und von Dem, welcher zurechtgewiesen wird. Da nun Gott nicht den Tod des Sünders will, sondern daß er sich bekehre und lebe, so wird ihnen, wenn S. 328 der Getadelte ein zerknirschtes Herz hat und der Absicht dessen, der ihn tadelt, entspricht, für jede Sache, d. i. für jede Sünde, um deren Verzeihung sie bitten, von dem gütigen Gotte Gewährung zu Theil. Denn wenn der Getadelte mit Dem, der ihn tadelt, nicht übereinstimmt, so tritt keine Vergebung, sondern Bindung ein nach folgender Stelle: „Alles, was ihr auf Erden binden werdet, Das soll auch im Himmel gebunden sein,“9 so daß jenes Gericht erfüllt wird: „Wenn der Zurechtgewiesene auch die Kirche nicht hört, so sei er dir wie ein Heide und öffentlicher Sünder.“10