LVIL. (Mauriner-Ausgabe Nr. 188) An Amphilochius über Kanones (Kanonischer Brief I)
Inhalt: Basilius beantwortet mehrere Fragen des Amphilochius, die auf 16 Kanones und einige Schriftstellen Bezug nehmen. — Abfassungszeit: Ende 374.
„Wenn der Tor fragt,” heißt es, „wird ihm das als Weisheit angerechnet1.” Eines Weisen Frage aber, S. 188 scheint es, macht auch den Toren weise. Dieser Fall tritt durch Gottes Gnade bei uns ein, so oft wir von Deinem geschäftigen Geiste ein Schreiben bekommen. Denn wir werden durch die Frage selbst sicherer und verständiger, als wir waren, indem wir so manches lernen, was wir nicht verstehen, und die Sorge um eine Antwort wird unsere Lehrerin2. In der Tat, auch jetzt sehen wir uns veranlaßt, Fragen, über die wir uns nie den Kopf zerbrochen haben, ernstlich ins Auge zu fassen, und uns nicht nur an die Traditionen der Alten zu erinnern, sondern auch auf Grund des Erlernten selbständig gleichartige Schlüsse zu ziehen.
1. Kanon. In der Frage bezüglich der Katharer3 ist schon früher bemerkt und auch von Dir richtig daran erinnert worden, daß man der Sitte des jeweiligen Landes folgen müsse, weil eine verschiedene Auffassung über ihre Taufe bei denen bestand, die damals über sie sich äußerten. Die Taufe der Pepuzener4 scheint mir jedoch keinen Wert zu haben, und ich muß mich wundern, wie dies dem Dionysius5, der in den Kanones so bewandert war, entgangen ist. Die Taufe glaubten die Alten6 gelten lassen zu können, die im Glauben nichts zu wünschen übrig lasse. Sie schieden daher zwischen Häresien, Schismen und Parasynagogen S. 189 (= Sonderassoziationen). Unter Häresien verstanden sie vollendete Absonderungen auf Grund von Glaubensdifferenzen, unter Schismen solche, die aus kirchlichen Gründen erfolgt sind und wegen Schwierigkeiten, die sich gegenseitig leicht beheben lassen, unter Parasynagogen endlich solche Assoziationen, die das Werk rebellischer Priester oder Bischöfe und zuchtloser Laien sind. Wenn z. B. jemand auf einem Vergehen ertappt und vom Kirchendienst ausgeschlossen wurde, sich aber den Kanones nicht unterwarf, vielmehr den Vorsitz und den Kirchendienst sich anmaßte, und wenn dann mit ihm einige gingen und aus der katholischen Kirche austraten, so war diese Bewegung eine Parasynagoge. Ein Schisma aber besteht in einer von der Kirche abweichenden Stellungnahme zur Buße. Häresien aber sind z. B. die der Manichäer, Valentinianer, Marcioniten und eben der Pepuzener. Denn bei ihnen erstreckt sich der Zwiespalt alsbald auf den Glauben an Gott7. Daher haben die Alten sich entschlossen, die Taufe der Häretiker gänzlich zu verwerfen, die der Schismatiker aber als solcher, die noch zur Kirche gehören, gelten zu lassen, diejenigen aber, welche Parasynagogen bilden, wieder in die Kirche aufzunehmen, wenn sie sich durch würdige Buße und Bekehrung gebessert haben. So konnten oft auch die, welche einen Grad8 hatten und mit den Rebellischen sich losgerissen hatten, nach getaner Buße wieder in ihr früheres Amt eingesetzt werden. Die Pepuzener sind nun offenbar Häretiker: Sie machten sich einer Blasphemie gegen den Hl. Geist schuldig, indem sie dem Montanus und der Priskilla in sündhafter, schmählicher Weise den Namen des Parakleten beilegten. Mögen sie nun Menschen vergöttern, so sind sie verdammenswert; mögen sie den Hl. Geist erniedrigen, indem sie ihn in eine Reihe mit bloßen Menschen stellen, so bleiben sie S. 190 dem ewigen Gerichte überantwortet, weil die Lästerung wider den Hl. Geist unverzeihlich ist. Wie sollte nun ihre Taufe einen Wert haben, da sie auf den Vater und Sohn und Montanus oder Priskilla taufen9? Es wurden doch die nicht getauft, die nicht auf die uns überlieferte Lehre getauft wurden. Wenn das auch dem großen Dionysius entging, wir müssen uns hüten, in denselben Irrtum zu fallen. Das Ungereimte liegt klar am Tage und ist allen ersichtlich, die nur einigermaßen vernünftig denken können. Die Katharer gehören auch zu denen, die sich getrennt haben. Übrigens gefiel es den Alten, ich meine dem Cyprian und unserm Firmilian10, diese alle unter eine Rubrik zu bringen, nämlich die Katharer, Enkratiten, Hydroparastaten11, weil die Trennung mit dem Schisma einsetzte, und diejenigen, die sich trennten, nicht mehr die Gnade des Hl. Geistes in sich trugen; denn mit der Unterbrechung der (apostolischen) Sukzession hörte auch die Mitteilung (des Geistes) auf. Denn diejenigen, die zuerst abfielen, hatten die Ordination von den Vätern erhalten und durch deren Handauflegung die Gabe des Geistes empfangen. Die aber, die sich losrissen und Laien wurden, hatten weder die Macht zu taufen noch die Macht zu ordinieren, weil sie die Gnade des Hl. Geistes nicht mehr mitteilen konnten, deren sie selbst verlustig gegangen waren. Deshalb befahlen sie, daß die von ihnen als von Laien Getauften beim Übertritt zur Kirche durch die wahre Taufe der Kirche gereinigt würden. Weil es aber doch einigen von den Asiaten im Interesse des Gemeinwohles überhaupt gut schien, deren Taufe gelten zu lassen, so mag es S. 191 dabei bleiben. Bei der Missetat der Enkratiten müssen wir uns aber doch sagen, daß sie, um sich eine Wiederaufnahme in die Kirche unmöglich zu machen12, es bereits gewagt haben, mit einer eigenen Taufe vorzugreifen, womit sie sogar ihrer eigenen Praxis zuwidergehandelt haben. Ich glaube nun, weil darüber nichts ausdrücklich bestimmt ist, daß wir ihre Taufe verwerfen und den, der sie von ihnen empfangen hat, beim etwaigen Übertritt zur Kirche taufen müssen. (Sollte aber diese Praxis der allgemeinen Anordnung im Wege stehen, so müssen wir uns wieder an die Sitten halten und den Vätern folgen, die unser Verhalten normiert haben. Denn ich fürchte, daß wir beim Bestreben, ihnen die Taufe zu erschweren, mit unserer strengen Forderung denen, die selig werden sollen, hindernd im Wege stehen.) Wenn aber jene unsere Taufe achten, so darf uns das nicht umstimmen. Wir dürfen nicht nachgiebig ihnen mit Gleichem vergelten13, vielmehr müssen wir uns genau an die Kanones halten. Auf jeden Fall soll Norm sein, daß diejenigen, die von der Taufe jener (zur Kirche) kommen, gesalbt werden — in Gegenwart der Gläubigen natürlich —, und nur so zu den Geheimnissen Zutritt haben sollen. Ich weiß freilich, daß wir die Amtsbrüder Izoin’s und Saturnin’s14 aus jenem (Enkratiten-) Kreis auf Bischofssitze erhoben haben. Deshalb können wir die, welche mit diesem Kreise in Fühlung stehen, von der Kirche nicht mehr ausschließen, da wir mit der Aufnahme der Bischöfe gleichsam einen Kanon für die Gemeinschaft mit ihnen aufgestellt haben.
2. Kanon. Ein Weib, das absichtlich die Leibesfrucht abtreibt, macht sich eines Mordes schuldig. Eine spitzfindige Unterscheidung zwischen ausgebildeter und gestaltloser Leibesfrucht gibt es bei uns nicht. Denn solches Tun rächt sich nicht nur am keimenden Leben, sondern auch an der, die sich damit selbst gefährdet, weil S. 192 ja solche Versuche den Frauen in der Regel das Leben kosten. Dazu kommt aber noch die Vernichtung des Embryo, ein zweiter Mord — beabsichtigt wenigstens von denen, die solches wagen. Doch soll man ihre Buße nicht bis zu ihrem Tode ausdehnen, sondern sie sollen ein Maß von zehn Jahren erhalten; die Heilung bestimme man aber nicht nach der Zeit, sondern nach der Art der Buße.
3. Kanon. Ein Diakon, der nach der Diakonatsweihe Unzucht getrieben, soll des Diakonates verlustig gehen und unter die Laien verwiesen werden, jedoch nicht aus der Gemeinschaft ausgeschlossen sein. Denn es gibt einen alten Kanon15, wornach die Degradierten nur dieser Strafe unterworfen sein sollen. Die Alten befolgten dabei, wie ich glaube, jenes Gesetz: „Du sollst nicht dasselbe Vergehen zweimal bestrafen16.” Und noch aus einem andern Grunde verfährt man so: Diejenigen, die, dem Laienstande angehörig, aus dem Kreise der Gläubigen ausgestoßen worden sind, werden wieder in die Stellung aufgenommen, die sie verloren haben, der Diakon aber bekommt ein für allemal die dauernde Strafe der Degradation. Weil ihm also das Diakonat nicht wiedergegeben wird, so blieben sie bei dieser einen Strafe stehen. Soviel also aus den Konstitutionen.
Im allgemeinen ist aber die Entfernung von der Sünde eine verlässigere Arznei. Wer also aus Fleischeslust die Gnade verloren hat, dann aber in der Abtötung des Fleisches17 und durch dessen völlige Unterordnung unter das Gesetz der Enthaltsamkeit18 von den Lüsten absteht, von denen er besiegt worden, der wird uns damit einen vollgültigen Beweis seiner Heilung erbringen. Daher müssen wir beides kennen, die Forderungen des strengen Rechtes so gut wie die der Gewohnheit; folgen S. 193 aber müssen wir in Punkten, die nicht unter das strenge Recht fallen, dem überkommenen Brauch.
4. Kanon. Für die drei- und mehrmal Verheirateten stellten sie denselben Kanon auf, den sie analog auch auf die zweimal Verheirateten anwandten: ein Jahr (Ausschluß) trifft die zweimal Verheirateten — andere setzen zwei Jahre fest. Die dreimal Verehelichten schließen sie drei, oft auch vier Jahre aus. Sie bezeichnen aber solche Verbindung nicht mehr als Ehe, sondern als Polygamie oder vielmehr als feinere Hurerei. Sagte doch auch der Herr zur Samariterin, die nacheinander fünf Männer gehabt hatte: „Den du jetzt hast, der ist nicht dein Mann19” — doch wohl deshalb, weil die nicht mehr als Mann und Frau angesprochen zu werden verdienen, die das Maß einer zweimaligen Verehelichung überschreiten. Als Brauch aber haben wir übernommen für die dreimal Verheirateten einen fünfjährigen Ausschluß — nicht auf Grund von Kanones, sondern in Nachahmung der Vorgänger. Man soll sie jedoch nicht gänzlich von der Kirche ausschließen, vielmehr ihnen zwei bis drei Jahre (nur) das Zuhören gestatten und hernach ihnen erlauben, (mit den Gläubigen) zusammenzustehen20, ohne aber an der Gemeinschaft am Gute teilzunehmen. Zeigen sie dann eine Frucht der Buße, so soll man sie wieder in ihre Stellung in der (Kirchen-) Gemeinschaft einsetzen.
5. Kanon. Diejenigen Häretiker, die am Ende ihres Lebens Buße tun, muß man aufnehmen, aufnehmen freilich nicht ohne Prüfung, sondern nach einer Untersuchung, ob sie eine wahre Sinnesänderung zeigen und die Früchte bringen, die für ein eifriges Heilsbestreben zeugen.
6. Kanon. Den fleischlichen Umgang mit gottgeweihten Jungfrauen21 darf man nicht als Ehe S. 194 betrachten; vielmehr muß man solche Verbindung auf jede Weise trennen. Das frommt der Kirche und gibt ihr Sicherheit; anderseits wird so den Häretikern kein Anlaß zur Anklage wider uns gegeben, als verschafften wir uns Anhang mit einer ungescheuten Freiheit im Sündigen.
7. Kanon. Knaben- und Tierschänder, Mörder und Giftmischer, Ehebrecher und Götzendiener verfallen derselben Strafe. Daher halte Dich auch bei diesen an die Richtschnur, die Du für die andern hast! Daß wir aber die, welche für ihre in Unwissenheit verübte Unzucht dreißig Jahre Buße getan haben, wieder aufnehmen müssen, darüber kann kein Zweifel bestehen. Denn solcher Nachsicht macht sie würdig nicht bloß ihre Unwissenheit, sondern auch ihr freiwilliges Bekenntnis wie auch die so lange Bußzeit. Sie sind ja fast ein ganzes Menschenalter hindurch dem Satan übergeben, damit sie lernen, nicht schamlos sich zu benehmen. Befiehl daher, daß sie unverzüglich aufgenommen werden, zumal wenn sie auch Tränen haben, die Dein Erbarmen wecken, und ein Leben führen, das Mitleid verdient.
8. Kanon. Wer im Zorne gegen seine Frau zum Beil gegriffen hat, ist ein Mörder. Mit Recht und Deiner Einsicht entsprechend hast Du mich daran erinnert, darüber ausführlicher zu reden, weil man bei freiwilligen und unfreiwilligen Handlungen viele Unterscheidungen zu machen hat. So ist es ganz unfreiwillig und unbeabsichtigt, wenn jemand mit einem Steine nach einem Hunde oder Baume wirft, dabei aber einen Menschen trifft. Die Absicht war hier ja, das Tier abzuwehren oder die Frucht herabzuwerfen. Nun kam aber der Betroffene beim Vorbeigehen zufällig in die Wurflinie; solcher Vorfall ist daher unfreiwillig. Nicht freiwillig ist auch, wenn jemand einen züchtigen will und ihn mit einem Riemen oder nicht harten Stabe schlägt, der Geschlagene aber stirbt. Denn hier kommt es auf die Absicht an, mit der er den Schuldigen bessern, nicht töten wollte. Unter die unfreiwilligen Handlungen gehört auch die Abwehr eines Mannes, der bei einem Streite mit einem Holzstück oder der Hand unnachsichtlich S. 195 auf (lebens-) wichtige Körperteile den Schlag führt, um ihn so unschädlich zu machen, nicht um ihn zu töten. Doch nähert sich solche Tat schon einem freiwilligen Vergehen. Denn wer mit einem solchen Instrument sich zur Wehr setzt oder rücksichtslos den Schlag führt, der hat offenbar von der Leidenschaft sich mit fortreißen lassen, ohne des Menschen zu schonen. Desgleichen wird auch der unter die unfreiwilligen Missetäter gezählt, der zu einem schweren Holz gegriffen oder zu einem für Menschenkraft übergroßen Steine, da er etwas anderes vorgehabt, etwas anderes verübt hat. Im Zorne hat er einen solchen Schlag geführt, daß er den Geschlagenen tötete, obschon wohl seine Absicht nur war, ihn niederzuschlagen, nicht aber auch, ihn wirklich zu töten. Wer aber zum Schwerte oder zu derartiger Waffe greift, findet keine Entschuldigung, und besonders der nicht, der mit dem Beile geworfen. Ein solcher hat ja sichtlich nicht mit der Hand geschlagen, so daß das Maß der Verletzung nicht von ihm abhing, vielmehr hat er geworfen, so daß infolge der Schwere des Eisens wie durch dessen Schärfe und Wurf aus der Ferne die Verletzung tödlich werden mußte. Anderseits ist aber zweifelsohne ganz freiwillig, was von den Räubern und bei feindlichen Überfällen verübt wird. Diese morden ja des Geldes wegen und flüchten sich vor der Verantwortung. Auch die, welche im Kriege auf Mord ausgehen, haben offenbar die Absicht, nicht zu schrecken und zu strafen, sondern die Gegner umzubringen. Und auch wenn jemand aus irgendeinem andern Grunde absichtlich Gift mischt und einen tötet, so erachten wir das als freiwilliges Vergehen. So machen es ja oft die Weiber, die mit gewissen Zauberformeln und durch Knotenschürzen Männer in sich verliebt machen wollen und ihnen Arzneien reichen, die Kopfschwindel verursachen. Wenn also solche Weiber töten, so werden sie, obschon sie etwas anderes beabsichtigt, als wirklich getan haben, dennoch wegen der vorsätzlichen und verbotenen Handlung zu den absichtlichen Mördern gezählt. Folglich sind auch diejenigen Mörderinnen, die Arzneien zur Abtreibung der Leibesfrucht geben wie auch die, welche das embryotötende Gift nehmen. Soviel darüber.
S. 196 9. Kanon. Der Ausspruch des Herrn, wornach es nicht erlaubt ist, aus der Ehe zu treten außer im Falle eines Ehebruches22, paßt dem Zusammenhange nach auf Männer so gut wie auf Frauen. Doch der Brauch hält es nicht so. Vielmehr finden wir in bezug auf die Frauen eine vielfache Detaillierung, so wenn der Apostel sagt: Wer einer Hure anhängt, ist ein Leib mit ihr23, oder Jeremias: „Wenn eine Frau einen andern Mann hat, darf sie zu ihrem Manne nicht wieder zurückkehren; vielmehr wird sie befleckt und unrein sein24.” Ferner: „Wer eine Ehebrecherin hat, ist töricht und gottlos25.” Die Gewohnheit aber befiehlt, daß ehebrecherische und unzüchtige Männer von den Frauen beibehalten werden. Daher weiß ich nicht, ob eine Frau, die mit einem entlassenen Mann zusammenwohnt, eine Ehebrecherin genannt werden darf. Denn der Vorwurf trifft hier die Frau, die sich vom Manne getrennt hat, aus welchem Grund sie immer von der Ehe abstehen mochte26. Wurde sie geschlagen, ertrug aber die Schläge nicht, so hätte sie diese doch eher geduldig ertragen sollen, als sich von ihrem Manne trennen. Oder mochte sie einen Geldverlust erlitten haben, so ist auch das keine gültige Entschuldigung. Trennte sie sich aber, weil er in Unzucht lebte, so kennen wir in der kirchlichen Praxis ein solches Verhalten nicht; vielmehr ist die Frau gehalten, auch vom untreuen Manne sich nicht zu trennen, sondern zu bleiben wegen der Ungewißheit des Erfolges. „Denn woher weißt du, Frau, ob du den Mann nicht zum Heile führen werdest27?” Diejenige also, die ihren Mann verläßt und zu einem andern Manne geht, ist eine Ehebrecherin; der verlassene Mann aber verdient Nachsicht, und diejenige, die mit einem solchen zusammenlebt, S. 197 wird nicht verdammt28. Wenn aber der Mann von seiner Frau sich trennt und zu einer andern geht, so ist nicht nur er selbst ein Ehebrecher, weil er sie zum Ehebruch verleitet, sondern auch die, die mit ihm zusammenlebt, ist eine Ehebrecherin, weil sie einen fremden Mann an sich gezogen hat.
10. Kanon. Diejenigen, die schwören, daß sie die Ordination nicht annehmen, also mit einem Schwur ihr entsagen, sollen nicht gezwungen werden, ihren Eid zu brechen. Denn wenn auch irgendein Kanon zu bestehen scheint, der mit solchen Leuten Nachsicht hat, so wissen wir doch aus Erfahrung, daß die, welche gegen ihren Eid handelten, keinen guten Weg gehen. Achten muß man aber auch auf die Form des Schwures, die Worte und die Gesinnung, mit der sie den Eid geleistet haben, und speziell auf die Zusätze zu den einzelnen Worten; wenn dann absolut kein Grund zur Umstimmung vorliegt, dann soll man solche Leute ganz in Ruhe lassen. Was aber Severus angeht, bzw. den von ihm ordinierten Priester, so erscheint mir in diesem Falle eine solche Umstimmung angängig, wenn auch Du damit einverstanden bist. Befiehl nur, daß jener Ort, der zu Mästia gehört, und für den jener Mann berufen wurde, unter Vasoda zu stehen komme. Denn auf diese Weise wird dieser Priester seinem Eide nicht untreu werden, da er sich von seiner Stelle nicht entfernt. Auch wird Longinus, wenn er den Kyriakus bei sich hat, seine Kirche nicht verwaisen lassen und seine Seele nicht dem Gericht überantworten infolge seiner Suspension. Wir werden auch nicht den Schein erwecken, als ob wir etwas gegen die Kanones täten, wenn wir mit Kyriakus Nachsicht üben, der trotz seines Eides, in Mindana zu bleiben, doch in die Versetzung sich fügt29; denn die Rückkehr S. 198 wird die Beobachtung des Eides sein. Wenn er dieser Verfügung nachkommt, wird ihm das nicht als Eidbruch angerechnet werden, weil dem Eide der Zusatz nicht beigefügt war, daß er auch nicht vorübergehend kurz von Mindana sich entfernen, sondern ununterbrochen daselbst verbleiben wolle. Dem Severus aber, der Vergeßlichkeit vorschützt, werden wir verzeihen mit dem Bemerken, daß der Kenner des Verborgenen seine Kirche von einem solchen Manne nicht schädigen lassen wird, von einem Menschen, der schon von vorneherein unkanonisch handelt, mit einem Eide zu Verbindlichkeiten verpflichtet, entgegen den Evangelien, eidbrüchig zu werden lehrt mit Versetzungen, die er vornahm, und jetzt lügt, wenn er Vergeßlichkeit vorschützt. Weil wir aber keine Richter der Herzen sind, sondern nach dem urteilen, was wir hören, so wollen wir die Strafe dem Herrn anheimstellen, ihn ohne Untersuchung aufnehmen und Nachsicht üben mit dem menschlichen Gebrechen, der Vergeßlichkeit.
11. Kanon. Wer einen unfreiwilligen Totschlag begangen hat, hat in elf Jahren seine Strafe vollständig abgebüßt. Ganz klar, daß wir bei den Geschlagenen uns an die Weisungen des Moses halten und den, der unter den empfangenen Schlägen hingesunken ist, hernach aber wieder am Stocke ging, nicht als getötet ansehen werden30. Ist er aber nach den Schlägen nicht wieder aufgestanden, so ist der Täter, der nicht zu töten beabsichtigte, zwar ein Totschläger, aber ein unfreiwilliger — entsprechend seinem Vorhaben.
12. Kanon. Die zweimal Verheirateten schloß der Kanon vom Kirchendienste gänzlich aus31.
13. Kanon. Die Tötung im Krieg rechneten unsere Väter nicht unter den Mord. Meines Erachtens S. 199 wollten sie dabei nachsichtig sein gegen die, die für Sitte und Glauben kämpften. Vielleicht empfiehlt sich aber der Rat, daß sie mit ihrer unreinen Hand drei Jahre wenigstens der Kommunion fernbleiben sollten.
14. Kanon. Wer Zins nimmt, kann zum Priestertum nur zugelassen werden, wenn er sich dazu versteht, den ungerechten Gewinn unter die Armen zu verteilen und sich fortan von der Krankheit des Geizes freizuhalten32.
15. Kanon. Es wundert mich an Dir, daß Du in der Schrift auf grammatische Genauigkeit siehst und den Ausdruck der Erklärung, der den Sinn richtig wiedergibt, aber nicht eigentlich das übersetzt, was mit dem hebräischen Worte gesagt sein will, nur notdürftig findest. Da man aber an dem von einem forschenden Kopfe angeregten Problem nicht leichthin vorübergehen darf (so wisse): „Die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres33” haben auch bei der Weltschöpfung denselben Ursprung gehabt; aus dem Gewässer sind ja beide Gattungen hervorgebracht worden34. Der Grund ist, weil beiden dieselbe Eigentümlichkeit zukommt: die einen durchschwimmen das Wasser, die andern schwimmen in der Luft. Deshalb geschah ihrer gemeinsam Erwähnung35. Aber der Ausdruck des Gedankens ist, weil (nur) von den Fischen die Rede, inadäquat, so recht eigentlich getroffen — mit Bezug auf alles, was im Wasser lebt36. Die Vögel des Himmels sind dem Menschen unterworfen wie auch die Fische des Meeres37, und nicht sie allein, sondern auch alles, was die Pfade der Meere wandelt38. Denn nicht ist irgendein S. 200 Wassertier auch schon ein Fisch — wie die großen Seetiere: die Walfische, Haifische, die Delphine und Robben, ferner die Walrosse und Seehunde, Sägfische, Schwertfische und Seekühe und, wenn Du willst, auch die Meerquallen und Kammuscheln und alle Schaltiere, von denen keines ein Fisch ist, und alle Wesen, welche die Bahnen des Meeres ziehen. So gibt es drei Gattungen: die Vögel des Himmels, die Fische des Meeres und alle Wassertiere, die von den Fischen verschieden sind, aber doch auch die Pfade des Meeres ziehen.
16. Kanon. Naaman war nicht groß bei dem Herrn, wohl aber bei seinem Herrn, d. h. er war einer von denen, die beim Syrerkönig in hohem Ansehen standen39. Halte Dich also genau an die Schrift, und Du wirst dort die Lösung der Frage finden.
Sprichw. 17, 28. ↩
Basilius, schon seit 370 Bischof, war natürlich in den Kanones wohl bewandert; aber so manche Detailfragen eröffneten auch dem Wissenden neue Gesichtspunkte. ↩
Schüler des Novatian. Vgl. Eusebius, h. l. c. 43. ↩
Die Pepuzener sind die Montanisten, benannt nach Pepuza im westlichen Phyrgien. ↩
Von Alexandrien. Nach dem Zeugnis des Hieronymus (de vir. ill. c. 69) dachte aber Dionysius mit Cyprian über die Ketzertaufe anders. Doch verdient Basilius, der sich in dieser Frage genauer umsah, mehr Glauben als Hieronymus. ↩
Unter den „Alten” (οἱ ἐξ ἀϱχῆς) [hoi ex archēs] sind nicht Firmilian und Cyprian, die gleich hernach als die „Alten” (οἱ ἀϱχαίοι) [hoi archaioi] bezeichnet werden, zu verstehen, da diese beiden gerade die gegenteilige Auffassung vertraten, sondern entweder Firmilians Nachfolger, die mit obiger Differenzierung eine Milderung einleiteten, oder überhaupt Bischöfe, die vor der Entscheidung des Ketzertaufstreites durch das Konzil von Arles (312) lebten. ↩
„Die Nichtübereinstimmung in dem Glauben an die Dreieinigkeit mit der Kirche im dritten und vierten Jahrhundert war bei fast allen häretischen Sekten des Orients der Fall” (Döllinger, Gesch. der Christl. Kirche I, S. 310). Papst Innozenz I. kannte nur die novatianische Häresie als einzige Ausnahme, die bezüglich der Trinität nicht irre lehrte (Epist. 17. al. 22, c. 5 n. 10). ↩
βαϑμός [bathmos], cfr. I Tim. 3, 13. Gemeint ist wohl das Diakonat. ↩
Basilius will damit nicht sagen, die Pepuzener hätten den Wortlaut der Taufformel verfälscht, sondern — wie aus dem Kontext ersichtlich — sie hätten nicht den rechten Glauben, und mit ihrer Gleichsetzung von Montanus bzw. Priskilla mit dem Hl. Geiste tauften sie gewissermaßen auf diese beiden. ↩
Firmilian war einer der Vorgänger des Basilius auf dem Bischofsstuhl von Cäsarea, † 269, zu seiner Zeit einer der angesehensten Bischöfe des Orients. ↩
Sektierer, die bei der Eucharistie Wasser statt Wein verwendeten, wie Tatian und seine Schüler (Clemens Alex., Stromata I, 19; Cyprian, ep. LXIII). ↩
Es handelt sich hier wohl nicht um eine formelle Absicht der Enkratiten, sondern um eine Folge ihres willkürlichen Taufmodus. ↩
Das heißt: auch ihre Taufe als gültig anerkennen. ↩
Von den beiden Bischöfen ist sonst nirgends dir Rede. ↩
Vgl. Kanon 25 der sog. „apostolischen Kanones”. ↩
Nah. 1, 9. ↩
Zwei Handschriften bieten μυντϱιμμοῦ τῆς καϱδἰας [myntrimmou tēs kardias] = „durch Zerknirschung des Herzens”. ↩
Vgl. 1 Kor. 9, 27. ↩
Joh. 4, 18. ↩
Die Büßerklasse der συστάντες [systantes] wird erstmals durch die Synode von Ankyra 314 can. 25 bezeugt. ↩
τῶν κανονικῶν [tōn kanonikōv] kann in diesem Zusammenhange nicht anders verstanden werden. ↩
Matth. 5, 32. ↩
1 Kor. 6, 16. ↩
Jer. 3, 1. ↩
Sprichw. 18, 22. ↩
Basilius richtet sich in diesem Kanon nach den römischen Gesetzen, die allerdings nach seinem eigenen Urteil mit dem Evangelium weniger übereinstimmen. ↩
1 Kor. 7, 16. ↩
In seinen „Sittenregeln” (Nr. 73) äußert er sich aber in dem Sinne, daß der Mann nicht von der Frau sich trennen dürfe, noch die Frau sich scheiden vom Manne außer bei Ehebruch. Beiden verbietet er eine nochmalige Verehelichung, mögen sie den Scheidebrief geben oder empfangen. ↩
Der Ort Mindana, für den Kyriakus ordiniert wurde, unterstand dem Landbischofe zu Vasoda. Wenn nun der Pastorationsbezirk des suspendierten Longinus auch unter Vasoda zu stehen kam, dann war eine Translation des Kyriakus von Mindana dorthin leichter angängig, zumal wenn dessen Verpflichtungseid nicht auf Mindana sich beschränkte, sondern wohl auf den ganzen Sprengel von Vasoda sich erstreckte. ↩
Vgl. Exod. 21, 18. 19. ↩
Vgl. Apostol. Kanon XVII im Anschluss an 1 Tim. 3, 2. 12; Tit. 1, 6. ↩
Vgl. Nizän. Kanon XVII, der die zinsfordernden Kleriker abzusetzen befiehlt. ↩
eine Reminiszenz an Ps. 8, 9 [Hebr. Ps. 8, 9]. ↩
Gen. 1, 20. 21. ↩
Eben in der angezogenen Stelle Ps. 8, 9 [Hebr. Ps. 8, 9]. ↩
Diesselbe Nuancierung im Prädikate wäre aber auch möglich beim Begriffe „Vogel”, weil auch andere Wesen die Luft durchschwirren. ↩
Ps. 8, 8. 9 [Hebr. Ps. 8, 8. 9]. ↩
Ps. 8, 8. 9 [Hebr. Ps. 8, 8. 9]. ↩
4 Kön. 5, 1 [= 2 Könige]. ↩
