LVI. (Mauriner-Ausgabe Nr. 174) An eine Witwe
Inhalt: Vorsichtshalber schrieb Basilius nicht zuerst an die Witwe, beantwortet aber ihren Brief, empfiehlt ihr den Gerichtsgedanken, das Gebet und warnt vor Kleinmut. — Geschrieben 374.
Immer schon war ich ernstlich gewillt, Euer Wohlgeboren zu schreiben, aber ich hielt mich immer zurück, damit es nicht den Anschein gewänne, als erregte ich bei Euch gewisse Versuchungen. Denn es gibt Leute, die uns feindlich gesinnt sind und, wie ich höre, ihre Gehässigkeit soweit treiben, daß sie vorwitzig auflauern, ob jemand von uns ein Schreiben erhalte. Weil Du aber selbst — und das mit Fug und Recht — mit einem Schreiben den Anfang gemacht hast und uns — wie billig — brieflich von Deinem Seelenzustand mitteiltest, so sah ich mich zu einem Antwortschreiben veranlaßt. Darin will ich das in der Vergangenheit Versäumte nachholen, zugleich aber auch auf das Schreiben Deiner Wohlgeboren antworten.
Selig die Seele, die bei Tag und Nacht keine andere Sorge beschäftigt als die, wie sie an jenem großen Tag, S. 187 an dem die ganze Schöpfung den Richter umstehen wird, um von ihren Handlungen Rechenschaft abzulegen, für ihren Wandel ruhig Red’ und Antwort stehen könne. Wer jenen Tag und jene Stunde vor Augen hat und immer an seine Verteidigung vor dem unbestechlichen Richterstuhle denkt, ein solcher wird überhaupt nicht oder nur sehr unbedeutend sündigen; denn zum Sündigen kommt es bei uns aus Mangel an Gottesfurcht. Die aber eine recht lebendige Furcht vor der Drohung beseelt, solchen wird die ihnen innewohnende Furcht keine Zeit lassen, auf ungewollte Handlungen oder Begierden zu verfallen. Denk also an Gott, behalt die Furcht vor ihm in Deinem Herzen, und zieh alle zur Teilnahme am Gebete herbei! Denn groß ist auch die Hilfe derer, die Gott besänftigen können. Unterlaß das nicht zu tun! Es wird ja das Gebet ein guter Helfer sein, nicht nur solange wir in diesem Fleische leben, sondern auch wenn wir von hinnen scheiden, eine ausreichende Wegzehrung fürs künftige Leben.
So wie es aber um die Sorge eine gute Sache ist, so sind auch wieder Kleinmut, Verzagtheit und Verzweiflung am Heil seiner Seele schädlich. Hoffe also auf die Güte Gottes und verlaß Dich auf seinen Beistand, da Du weißt, daß er uns, wenn wir ehrlich und ernstlich zu ihm uns bekehren, nicht nur nicht gänzlich verstoßen wird, sondern uns noch während des Gebetes sagen wird: „Siehe, da bin ich.”
