115.
So steht es bei ihnen. Was wird aber von nun ab geschehen? Man wird Männer holen, welche die ― natürlich wie ihr selber sagen werdet ― göttlichen S. 150 Worte auslegen müssen; man wird theologische und Moral-Bücher nachschlagen. Sage mir, was für Bücher werden es sein, und wer wird sie verfaßt haben? Es wird sich hübsch machen, wenn von Hesiods Göttergeschichte mit ihren Kämpfen und Wirren, von den schrecklichen Namen und Taten der Titanen und Giganten vorgesungen wird. Man wird erzählen von Kotus, Briareus, Gyges1, von Enceladus2, von euren Drachenfüßlern, von Blitze schleudernden Göttern, von Inseln, welche diesen entgegengeworfen wurden als Geschoße und zugleich als Gräber für die Entgegenstürmenden, von ihren schlimmen Kindern und Sprößlingen, den Hydren, Chimären, Cerberen, Gorgonen, dem Ausbund aller Schlechtigkeit. Solche saubere Geschichten aus Hesiod werden den Zuhörern vorgetragen werden. Orpheus mag mit seiner Laute unter den alles lockenden Gesängen erscheinen und an Zeus die gewaltigen hochtönenden theologischen Worte und Gedanken richten: „Herrlichster, Größter unter den Göttern, der du im Schmutze steckst!“ ― nämlich im Schmutze von Schafen, Pferden, Maultieren, wodurch wohl Zeus als Tierschöpfer und Lebenspender gekennzeichnet werden soll; anders läßt es sich nicht erklären. Auch an anderen großen Worten wird man es nicht fehlen lassen. „Also sprach die Göttin und entblößte beide Schenkel3,“ um ihre Liebhaber einzuweihen, was noch jetzt unter Symbolen geschieht. Am Schluß wird Phanes4 und Ericapäus5 auftreten und der, welcher alle Götter verschlingt und wiedergibt, um der Vater der Menschen und Götter zu sein. Ihre Lehren mögen denen vorgetragen werden, die unverständlicherweise auf solche theologische Weisheit hören! Hierauf möge man dazu allegorische, wundersame Auslegungen S. 151 ersinnen, wobei aber die Rede von ihrem Thema abkommen und in Schlünde und Abgründe fallen wird, da dem Denken der feste Grund fehlt.
Kotus, Briareus und Gyges waren hundertarmige Riesen mit 50 Köpfen. ↩
Ein Gigant. ↩
Zu diesem und dem vorhergehenden Zitate vgl. E. Abel, Orphica (Leipzig 1885) S. 265 f. ↩
Phanes war ein orphischer, mannweiblicher Gott mit vielen Köpfen und goldenen Flügeln. ↩
Ericapäus war ein Wesen der orphischen Theogonie, aus dem Weltei entstanden. ↩
