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Doch man frägt: „Wie ist der Sohn geboren, wenn er geboren ist?“ Siegesbewußter Sophist, antworte mir zuerst: „Wenn er erschaffen wäre, auf welche Weise ist er erschaffen worden?“ Dann magst du mich fragen, auf welche Weise er erzeugt worden ist. Du wendest ein: „Eine Erzeugung ist mit Leidenschaft verbunden.“ Aber auch das Erschaffene ist es. Wenn man etwas ausdenkt, sich darum kümmert und wenn das, was rasch in den Sinn kommt, nach allen Seiten ausgestaltet wird, erfordert dies keine Leidenschaft? Du wendest ein: „Eine Erzeugung braucht Zeit.“ Auch das Erschaffen braucht Zeit. Du sagst: „Erzeugung ist an einen Ort gebunden.“ Auch das Erschaffen ist es. Bei der Geburt soll es Mißerfolge geben. Sie kommen auch beim Schaffen vor, wie ich von euren Philosophen höre. Was nämlich der Verstand vorschreibt, kann oftmals die Hand nicht vollenden. Man wendet ein: „Durch sein Wort und seinen S. 411 Willen hat er alles erschaffen; denn ,er sprach und es wurde, er befahl und es war erschaffen’1.“ Wenn du sagst, durch das Wort sei alles erschaffen worden, dann sprichst du von einem nicht menschlichen Schaffen. Denn keiner von uns bewirkt durch sein Wort, daß etwas wird. Es gäbe nichts Erhabeneres und Leidenschaftsloseres als uns, wenn schon das Wort die Tat vollbrächte. Wenn Gott durch sein Wort die Schöpfung erschaffen hat, so war sein Erschaffen nicht etwas Menschliches. Entweder zeige mir, daß auch der Mensch durch sein Wort etwas erschafft, oder nimm an, daß Gott nicht nach Menschenart erschafft! Habe den Willen, dir eine Stadt vorzustellen, und die Stadt muß da sein! Habe den Willen, einen Sohn zu bekommen, und das Kind muß da sein! Habe den Willen nach irgend etwas anderem, und der Wille muß zur Tat werden! Wenn aber das Gewünschte nicht dem Willen folgt, Gottes Wollen dagegen mit dem Werden verbunden ist, dann ist ein Unterschied zwischen dem Erschaffen der Menschen und zwischen dem des Weltschöpfers, Gottes. Wenn nun Gott nicht auf menschliche Weise schafft, wie soll er gezwungen werden, auf menschliche Weise zu erzeugen? Du warst zuerst nicht, dann wurdest du, dann erzeugst du. Du schenkst einem, der nicht war, das Licht der Welt. Oder, um mich gründlicher auszudrücken, du führst eigentlich nicht einmal aus dem Nichts in das Dasein. Denn Levi war, wie es heißt2, im Schoße des Vaters, ehe er ins Dasein trat. Möge keiner sich an dem Logos versündigen! Denn nicht behaupte ich, daß der Sohn aus dem Vater in einer Weise hervorgehe, daß er früher im Vater war, später aber ins Dasein getreten sei; nicht bezeichne ich ihn entsprechend dem Gesetze menschlichen Erzeugens zuerst als unvollständig und dann als vollständig.
