1.
VI. Rede.
Erste Rede über den Frieden1 und zwar mit den Mönchen, nach Beobachtung des Stillschweigens, gehalten in Gegenwart des Vaters2.
Meine Gutmütigkeit löst mir die Zunge, und das Gesetz des Geistes läßt mich über Menschenbräuche hinwegsehen. Dem Frieden weihe ich das Wort; nichts anderem habe ich es zuvor gewidmet3. Denn als noch die Glieder gegen uns in Aufruhr waren und der große, ehrwürdige Körper Christi uneins und zerrissen war, so daß fast „unsere Gebeine im Totenreiche ausgestreckt dalagen4“, gleich der Erde, die vom Pfluge tief aufgewühlt und auf dem Boden ausgebreitet wird, als der Böse noch das nicht zerschnittene, ungeteilte, S. 192 vollständig gewobene Gewand5 auftrennte, um es sich ganz zu eigen zu machen, was ihm durch uns, nicht aber durch die, welche Christum gekreuzigt hatten, möglich wurde, da gab ich eine Sperre meiner Zunge6, die nicht gewöhnt ist, ohne weiteres zu sprechen; denn ich glaubte, ein geordnetes Geistesleben verlange, daß ich zunächst durch die Philosophie der Tat mich reinige, alsdann den Mund des Verstandes öffne, um Geist einzuatmen7 und schließlich ein gutes Wort zu reden und Gottes vollkommene „Weisheit unter den Vollkommenen zu verkünden8“. Wie nach dem trefflichen und sehr weisen Ausspruche Salomons9 jedes Ding, das kleine wie das große, seine Zeit hat, so wußte ich so gut wie ein anderer, daß es auch eine Zeit des Redens und eine Zeit des Schweigens gibt.
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Vom Frieden handelt auch Rede 22 und 23. ↩
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Der Vater des hl. Gregor war durch gewisse Nachgiebigkeit gegen die Arianer Anlaß gewesen, daß die Mönche und ein großer Teil des Volkes die Gemeinschaft mit ihm aufgegeben hatten. Infolge der Bemühungen des Sohnes und da der Vater ein orthodoxes Glaubensbekenntnis ablegte, wurde die Einigung wieder hergestellt, worauf 364 die folgende Rede gehalten wurde. ↩
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Während des Aufruhrs beobachtete Gregor in den aktuellen Fragen Stillschweigen. ↩
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Ps. 140, 7 [hebr. Ps. 141, 7]. ↩
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Vgl. Joh. 19, 23. ↩
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Vgl. Ps. 38, 2 [hebr. Ps. 39, 2]. ↩
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Vgl. Ps. 118, 131 [hebr. Ps. 119, 131]. ↩
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1 Kor. 2, 6. ↩
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Ekkle. [Prediger] 3, 1. ↩