Einleitung zum Gespräch mit Makrina „Über die Seele und die Auferstehung".
1 S. 37 Gregorius war gerade noch rechtzeitig nach der Synode in Antiochien (379) ins Iriskloster gekommen, um wenigstens noch einen Tag mit seiner dem Tode nahen Schwester Makrina zuzubringen. In den kostbaren wenigen Stunden vor ihrem Hingang unterhielt sich das heilige Geschwisterpaar über die großen Fragen über die Menschenseele, den Tod, die Unsterblichkeit und die Auferstehung. „Wahrheit und Dichtung“ reichen sich bei Abfassung der Schrift die Hände. Der Inhalt geht sicher zum großen Teil auf Makrina zurück, denn Gregor versichert in der Vita Macrinae dem Adressaten Olympius, Makrina habe, obschon vom Fieber verzehrt, anhaltend in hohem Geistesfluge über die Seele gesprochen, wie sie die Ursache unseres Lebens im Fleische sei, wie der Mensch zum Sterben komme, woher der Tod stamme, wie es mit der Rückkehr zum Leben bestellt sei. „Wie durch die Kraft des Heiligen Geistes inspiriert, erörterte sie alles in klarer und folgerichtiger Weise. Wie aus S. 38 einer Quelle, die ungehemmt ihr Wasser über den Abhang ergießt, so floß ihre Rede in aller Leichtigkeit und Lieblichkeit dahin2.„ Die Aufmachung des Ganzen, die dialektische Anordnung, die stilistische Ausschmückung, die gedankliche Abrundung und Vertiefung mag auf Rechnung des Verfassers kommen, für dessen Forschertrieb die vorliegenden Probleme ein Lieblingsgegenstand waren. Zweifellos hat ihm Platos Phädon, bzw. die weise Diotima (Plat. Conv. p. 201 D.) vor Augen geschwebt. Gregor beschränkt sich vorherrschend auf Einwürfe von außenstehenden Gegnern und gibt sich nicht zufrieden, bis eine möglichst volle Lösung erzielt ist. Seine Kenntnis naturwissenschaftlicher, physiologischer und psychologischer Dinge liefert ihm stets neues Material, auf dessen Widerlegung Makrina mit ruhiger Überlegenheit einzugehen weiß. Denn sie ist nicht wenig mit philosophischen Meinungen und Aporien vertraut. Auf die Offenbarungsquellen wird im Laufe der Disputation mehr vorübergehend zurückgegriffen. Nach einer Stelle des Dialogs (cap. 16, 1) hat die Unterredung in Gegenwart mehrerer Zuhörer stattgefunden. Mit der ganzen Darstellung in der Vita Macrinae ist das nicht wohl vereinbar.
Der Eingang des Zwiegesprächs befaßt sich mit dem tröstlichen Gedanken, daß man über den Tod eines teuern Menschen nicht übermäßig trauern soll, weil die Seele ja unsterblich ist. Sie ist nichts von den Elementen des Leibes, sondern ein Gott verwandter Geist. Ihre Aufgabe ist es, die Sinne als Werkzeuge zu gebrauchen; eine übersinnliche Erfindungsgabe ist ihr eigen. In gewisser Weise bleibt sie auch mit den aufgelösten Teilen des Leibes in Verbindung, und sie wird dieselben bei der Auferstehung wieder an sich ziehen3. Jede Art des S. 39 Lebens findet sich im Menschen; darauf weist der Bericht von seiner Schöpfung am 6. Tage. Über den Aufenthalt der Seelen in der „Unterwelt“ entwickelt Gregor seine eigentümlichen Ansichten und akkommodiert ihnen die Erzählung vom reichen Prasser. Läuterung der Seelen, entweder hier oder im jenseitigen Leben, nimmt er ebenso bestimmt an, wie er die Seelenwanderung energisch in drastischen Ausführungen ablehnt. Gleichzeitig wird Leib und Seele geschaffen4. Bei der Auferstehung werden beide wieder vereinigt. Die Einwendungen finden durch Analogien und Schriftworte ihre Erledigung. ― Mit den Schlußgedanken der Apokatastasis bricht das Gespräch ab, ohne auf Rahmen und Szenerie desselben Rücksicht zu nehmen.
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Aus: Des heiligen Bischofs Gregor von Nyssa Schriften / aus dem Griechischen übers. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 56) Kempten; München : J. Kösel : F. Pustet, 1927. ↩
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Vita Macrinae M. 46, 977. Sie schien ἐντὸς τῶν οὐρανίων ἀδύτων [entos tōn ouraniōn adytōn] zu sein. ↩
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Gregor lehrt nicht gleich Origenes eine bloß ideelle Identität des Auferstehungsleibes mit dem frühern. (Vgl. De hom. opif. M. 44, 225 f. Kap. 27.) Er folgt ihm auch nicht in der Annahme eines ewigen Kreislaufes, wohl aber übernimmt er von ihm die Idee einer endlichen allgemeinen Wiederherstellung. ↩
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Auch De hom. opificio wendet sich Gregor entschieden gegen die Praeexistenz der Seelen (M. 44, 229―240 Kap. 28 u. 29). ↩