2.
Da sprach ich: „Und wie beweist der Glaube an Gott zugleich das Dasein der menschlichen Seele (da doch die Seele nicht identisch mit Gott ist), so daß mit dem Bekenntnis an die Existenz des einen zugleich die Existenz des andern anerkannt werden müßte?“ Darauf erwiderte sie: „Alle Weisen geben zu, daß der Mensch eine Welt im kleinen (Mikrokosmus) sei, da er diejenigen Elemente in sich enthält, aus denen das Weltall besteht. Ist aber dieses Wort wahr ― und es scheint so ― so bedürfen wir kaum eines anderen Beweismittels für unsere Anschauung über die Seele. Wir sind aber dafür eingetreten, daß die Seele neben dem gröberen Körper auf Grund einer von ihm getrennten und andersartigen Natur für sich allein existiere. Wie wir nämlich, falls wir mittels unserer sinnlichen Wahrnehmung die Welt betrachten, durch unsere Sinnestätigkeit selbst zu einer übersinnlichen Sache und Idee hingeführt werden und das Auge zum Dolmetscher der allmächtigen Weisheit wird, welche sich im Universum offenbart, und auf jenen, der durch sie das Universum erhält, durch sich selbst hinweist ― so können wir, falls wir die Welt in uns ins Auge fassen, mächtige Veranlassungen finden, von dem aus, was in die Erscheinung tritt, auf das zu schließen, was sich verborgen hält. Verborgen ist aber das, was, weil an sich geistig und unsichtbar, der sinnlichen Wahrnehmung sich entzieht.“
S. 252 Da wendete ich ein: „Allerdings wegen der weisen und kunstvollen Ordnungen, welche in dieser Weltharmonie die Natur der Dinge uns deutlich vor Augen führt, müssen wir auf die über dem Universum thronende Weisheit schließen. Aber wie sollten wir auf dem besagten Wege, der uns aus den sichtbaren Erscheinungen auf ein unsichtbares Wesen zuführt, auf Grund von Beobachtungen am Körper eine Kenntnis der Seele gewinnen?“ Die Jungfrau erwiderte darauf: „Gewiß finden alle, welche nach dem alten weisen Worte sich selbst kennenlernen wollen, an der Seele selbst eine treffliche Lehrerin hinsichtlich der Ansichten über die Seele in der Richtung, daß sie etwas Immaterielles und Körperloses ist, daß sie wirken und sich bewegen kann, wie es ihrer besonderen Natur entspricht, und daß sie ihre Bewegungen durch die körperlichen Organe verrät. Zwar findet sich diese organische Ausstattung auch bei den Toten in nicht geringerem Maße, aber sie bleibt ohne Leben und ohne Tätigkeit, weil die von der Seele ausgehende Kraft nicht mehr in ihr ist. Nur solange kann sie in Tätigkeit treten, als in den Organen Empfindung vorhanden ist, und durch die Empfindung Geisteskraft strömt, die mittels ihrer eigenen Anregungen die Sinnesorgane nach ihrem Willen in Bewegung setzt.“§ 4. Die Tätigkeit der Seele überragt die der Sinne.