2.
Da sprach ich: „Vortrefflich hast du, wie mir scheint, nebenbei die Lehre von der Auferstehung verteidigt; auf solche Weise können auch die Gegner allmählich zu dem Eingeständnis gebracht werden, es überschreite keineswegs die Grenzen des Möglichen, wenn die Elemente des Leibes wieder zusammenkommen, um den nämlichen Menschen wieder herzustellen.“ Die Lehrerin fuhr weiter: „Ja, du hast recht; denn die Gegner unserer S. 283 Lehre hört man oft einwenden: wenn unsere Elemente sich auflösen und nach Maßgabe der Verwandtschaft sich in das All zerstreuen, wie ist es dann möglich, daß z. B. das Warme, das in einem bestimmten Menschen war und dann (nach dessen Tod) sich in das All zerstreute1, sich davon, ohne Verwandtes mitzunehmen, vollständig lostrenne, um den Menschen neu zu bilden? Denn wenn nicht genau die nämlichen Bestandteile sich vereinigen, um den Auferstehungsleib zu bilden, sondern an Stelle dessen, was einstens zu einem Individuum gehörte, etwas Anderes, wenn auch Gleichartiges tritt, so wird anstatt des früheren Leibes ein anderer entstehen, und dieses wäre keine Auferstehung, sondern eher die Erschaffung eines neuen Menschen; wenn aber ebenderselbe Mensch erstehen soll, der lebte und starb, so muß er mit dem früheren ganz und gar derselbe (identisch) sein, also hinsichtlich aller Teile seiner Grundstoffe die frühere Natur wieder erhalten.“
„Demnach,“ sprach ich, „reicht gegen den erwähnten Einwand die Annahme aus, daß die Seele bei jenen Elementen, mit welchen sie von Anfang an verbunden war, auch nach der Auflösung des Leibes verbleibe, gleichsam in der Stellung einer Behüterin ihres Eigentums, und daß sie, wenn sich die Bestandteile ihres Leibes auch mit Gleichartigem verbinden, keinen Teil aus den Augen verliert; denn mag der Leib in noch so kleine Teilchen zerfallen, vermöge der Feinheit und Leichtbeweglichkeit ihrer geistigen Kraft wird die Seele dieselben keineswegs irrtümlicherweise verwechseln, sondern, wenn sie sich mit den ihnen verwandten Urstoffen vermengen, mit ihnen untertauchen und nicht ablassen, ihnen zu folgen, wenn sie in das All zurückströmen, und wird immer bei ihnen verharren, wie die Natur auch mit ihnen verfährt. Wenn aber von der das All lenkenden Macht den getrennten Bestandteilen des Leibes die Erlaubnis zur Wiedervereinigung gegeben wird, so werden, gleichwie verschiedene Seile, die an einem Punkte aufgehängt sind, alle und S. 284 in demselben Augenblicke dem nämlichen Zuge folgen, auch die verschiedenen Elemente des Körpers durch die eine Kraft der Seele angezogen und so wird die Kette unseres Leibes durch das Zusammentreten seiner Teile von der Seele geflochten, indem ein jeder in seine alte und gewohnte Verbindung sich einfügt und die ihm vertraute Umgebung umschlingt.“
„Aber auch das folgende Beispiel“, sprach die Lehrerin, „kann dem eben Gesagten beigefügt werden, zum Beweise, daß es für die Seele keine große Schwierigkeit bedeutet, das Eigene vom Fremden zu unterscheiden. Setzen wir nämlich den Fall, ein Töpfer habe Ton vor sich, und zwar in großer Menge, von welchem ein Teil bereits zur Anfertigung von Gefäßen geformt wurde, während ein anderer Teil der Verwendung noch harrt; die Gefäße sollen aber einander nicht ähnlich sein an Gestalt, sondern das eine ein Faß, das andere ein Krug, das dritte ein Teller oder eine Schale werden oder sonst eins von den Hausgeräten. All diese Gegenstände sollen nicht einem Besitzer gehören, sondern für jedes wollen wir einen eigenen Herrn annehmen. Solange sie ganz sind, kennt sie der Eigentümer sehr wohl; aber auch wenn sie zerbrochen werden, haben sie als Trümmer noch Kennzeichen genug, die da sagen, dies sei aus dem Faße, jenes aus dem Becher; sogar wenn die Scherben mit unbearbeitetem Tone vermischt werden, kann man noch ganz gut die bearbeiteten Teile von letzterem unterscheiden. So ist jeder einzelne Mensch gleichsam ein Gefäß, aus gemeinsamer Materie durch die Verbindung bestimmter Elemente geformt, durch seine eigentümliche Gestaltung aber von allen seinesgleichen sehr verschieden. Ist diese Form nun zerbrochen, so wird nichtsdestoweniger die Eigentümerin des Gefäßes, die Seele, das zu ihr Gehörige aus den Überresten erkennen; denn sie wird weder, wenn die Überbleibsel beisammenliegen, noch wenn sie mit dem Unbearbeiteten, d. h. mit den Grundstoffen sich vermengen, die Bestandteile ihres Leibes vergessen, sondern all ihr Gut stets in Erinnerung behalten und somit in keinen Irrtum bezüglich ihres Eigentums verfallen, weder während der Zeit, in welcher es noch seine unversehrte Gestalt hat, noch dann, wenn letztere S. 285 zerstört ist, weil sämtlichen ihr zugehörigen Teilen stets sichere Kennzeichen anhaften.“ § 11. Die evangelische Erzählung vom reichen Prasser und vom armen Lazarus widerlegt das Vorgetragene nicht, sondern bestätigt es.
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Hayd übersetzt: wie ist es möglich, daß das Warme in diesem Individuum, nachdem es ins Allgemeine dahin ist, unvermischt mit dem Verwandten sich wieder ausscheide? ↩