4.
„Demnach ist diese heidnische Lehre zu verwerfen, zumal da gegen sie auch noch andere Erwägungen der Vernunft sprechen. Ich habe nämlich von Anhängern dieser Lehre gehört, daß sie gewisse Völkerschaften von Seelen annehmen, welche vor dem Leben im Leibe bereits in einem besonderen Staate leben und wegen ihrer Feinheit und Leichtbeweglichkeit ihrer Natur mit der Umkreisung des Alls sich herumbewegen würden. Aber wegen einer gewissen Hinneigung zum Bösen ihrer Schwingen verlustig geworden, kämen die Seelen in Körper, und zwar zuerst in menschliche, sodann würden sie S. 305 wegen ihrer Hingabe an unvernünftige Leidenschaften nach dem Ausscheiden aus dem menschlichen Leben in Tierleiber gebannt und von da sänken sie zum pflanzenhaften und empfindungslosen Dasein herab, so daß die Seele, obgleich sie ihrem Wesen nach fein und leichtbeweglich ist, wegen ihres Hanges zum Bösen zuerst eine gewisse Schwere bekäme, dann nach unten strebe und in menschliche Körper eingekerkert werde, hierauf nach Aufzehrung der Denkkraft in unvernünftigen Tieren lebe und endlich nach Verlust des Empfindungsvermögens das gefühllose Pflanzenleben annähme, jedoch nur, um von hier aus in der nämlichen Stufenfolge wieder in die Höhe zu steigen und in die himmlische Region zurückzukehren. Für alle, welche nur etwas Urteilskraft besitzen, widerlegt sich eine solche Lehre von selbst, da sie gar keinen Halt in sich hat. Denn wenn die Seele wegen der Sünde von dem himmlischen Leben zu einem Leben im Holze herabgezogen wird, von diesem aber durch die Kraft der Tugend wieder zum himmlischen Lande zurückkehrt, so gerät sie durch ihre Entscheidung darüber, ob das Leben im Holze oder aber das im Himmel wertvoller ist, in die größte Verlegenheit; denn dadurch, daß die Seele ihren Aufenthaltsort immer wieder wechselt, kommt ein gewisser Kreislauf zustande, der sie stets durch dieselben Regionen führt. Wenn sie nämlich vom unkörperlichen Leben zum körperhaften und zum empfindungslosen herabsinkt und dann abermals zum unkörperlichen aufsteigt, so bedeutet dies nichts anderes als eine unterschiedslose Zusammenmengung von Gutem und Schlechtem, welche die Anhänger der beschriebenen Anschauung vornehmen. Denn einerseits vermag der Aufenthalt im Himmel voll Glückseligkeit nicht festgehalten zu werden, weil ja die Sünde auch dorthin Zutritt erlangt; andererseits werden die Bäume nicht der Tugend entbehren, weil sich nach ihrer Vorstellung hier die Seele zum Guten erhebt, um dort oben das schlechte Leben zu beginnen. Denn wenn die Seele, während sie mit dem Himmel sich bewegt, in die Fallstricke der Schlechtigkeit gerät und, zur Strafe dafür zum Leben im Holze verurteilt, wiederum zur himmlischen Wohnung emporgehoben wird, so verraten sie damit ihre Ansicht, S. 306 das materielle Leben tilge die Schlechtigkeit, die regelmäßige Umkreisung aber werde für die Seelen Grund und Ursache zum Bösen, da sie ja von hienieden aus auf den Flügeln der Tugend zum Himmel emporziehen, von da aus aber, der Sünde wegen der Flügel beraubt, auf die Erde herabfallen und mit der schwerfälligen und dichten Materie umkleidet werden.“