8. Kap. Bericht des Irenäus über die Heilige Schrift.
Da wir zu Beginn unseres Werkes versprochen haben,1 bei Gelegenheit die Berichte der alten Priester und Schriftsteller der Kirche anzuführen, worin sie die bezüglich der heiligen Schriften auf sie gekommenen Überlieferungen niederlegten, und da Irenäus zu diesen Schriftstellern gehörte, so wollen wir seine Worte wiedergeben, und zwar zunächst diejenigen, welche sich auf die heiligen Evangelien beziehen. Sie lauten so:2 „Matthäus hat bei den Hebräern in deren Muttersprache ein Evangelium geschrieben, während Petrus und Paulus in Rom das Evangelium verkündeten und die Kirche begründeten. Nach dem Tode dieser beiden Apostel hat uns Markus, der Schüler und Dolmetscher des Petrus, das, was Petrus predigte, ebenfalls schriftlich überliefert. Lukas, der Begleiter des Paulus, hat das von Paulus verkündete Evangelium niedergeschrieben. Endlich hat Johannes, der Schüler des Herrn, der auch an dessen Brust geruht, während seines Aufenthaltes zu Ephesus in Asien sein Evangelium herausgegeben.“ So berichtet Irenäus in dem erwähnten dritten Buche seines genannten Werkes. Im fünften Buche äußert er sich über die Offenbarung des Johannes und über die Zahl, welche dem Antichrist beigelegt wird,3 also:4 „Die Sache verhält sich so, und in allen bewährten und alten Handschriften findet sich diese Zahl. Und auch jene, welche Johannes von Angesicht gesehen haben, bezeugen es, und die Rech- S. 230 nung lehrt uns, daß sich die Namenszahl des Tieres nach griechischer Zählung aus den Buchstaben des Namens ergibt.“ Bald darauf sagt er über denselben Johannes:5 „Wir wagen es nun nicht, über den Namen des Antichrist etwas mit Sicherheit zu behaupten. Wenn sein Name in der jetzigen Zeit hätte bekannt werden sollen, dann wäre er durch den mitgeteilt worden, der auch die Offenbarung geschaut hat. Denn nicht vor langer Zeit wurde sie geschaut, sondern beinahe in unseren Tagen, nämlich gegen das Ende der Regierung des Domitian.“6 So berichtet Irenäus über die Offenbarung. Er erwähnt aber auch den ersten Brief des Johannes und führt sehr viele Zeugnisse daraus an.7 Ebenso gedenkt er des ersten Briefes des Petrus.8 Den „Hirten“ kennt er nicht bloß, er beruft sich auch auf ihn, wenn er sagt:9 „Mit Recht sagt die Schrift: ‚Vor allem glaube, daß es nur einen einzigen Gott gibt; er hat das All erschaffen und geordnet…’10 Auch benützte er Worte aus der Weisheit Salomons, da er etwa sagt:11 „Das Schauen Gottes wirkt Unsterblichkeit, Unsterblichkeit aber bringt Gott näher.“12 Ferner erwähnt er Denkwürdigkeiten eines apostolischen Presbyters, dessen Namen er aber verschweigt, und zitiert von ihm Erklärungen zur Heiligen Schrift.13 Weiter gedenkt er Justins des Märtyrers und des Ignatius und benützt auch Zeugnisse aus deren Schriften.14 Er verspricht, in einer eigenen Arbeit Marcion aus dessen Schriften zu widerlegen.15 Vernimm auch seine Worte über die Übersetzung der göttlichen Schriften durch die S. 231 Siebzig! Er schreibt:16 „Gott ist also Mensch geworden, und der Herr selbst hat uns erlöst, indem er uns das Zeichen der Jungfrau gegeben hat, aber nicht, wie einige von denen sagen, die das Schriftwort jetzt also zu übersetzen wagen: ‚Siehe, das junge Weib wird empfangen und einen Sohn gebären!’17 So haben nämlich Theodotion aus Ephesus und Aquila aus Pontus, beide jüdische Proselyten, übersetzt, und ihnen folgten die Ebionäer, soferne sie behaupteten, er sei von Joseph erzeugt worden.“ Bald darauf fährt Irenäus also fort:18 „Bevor nämlich die Römer ihre Herrschaft aufgerichtet und die Mazedonier noch die Herren von Asien waren, ließ Ptolemäus, der Sohn des Lagus,19 in dem ehrgeizigen Bestreben, die von ihm eingerichtete Bibliothek in Alexandrien mit den klassischen Schriften aller Menschen auszustatten, an die Bewohner von Jerusalem den Wunsch übermitteln, ihre Schriften, ins Griechische übertragen, zu besitzen. Diese, damals noch unter mazedonischer Herrschaft, schickten siebzig Älteste an Ptolemäus, die in den heiligen Schriften wie in beiden Sprachen unter ihnen am besten bewandert waren. Tatsächlich war es Gott, der hier tun hieß, was er wollte. Da Ptolemäus jeden einzeln zu erproben wünschte und zudem befürchtete, sie möchten etwa auf Grund gemeinsamer Verabredung die in den Schriften liegende Wahrheit in ihrer Übersetzung verschleiern, trennte er sie voneinander und gab den Befehl, daß alle eine und dieselbe Übersetzung fertigen sollten. Und so verfuhr er bei allen Büchern. Da sie nun vor Ptolemäus zusammenkamen und ihre Übersetzungen verglichen, da wurde Gott verherrlicht, und die Schriften erwiesen sich als S. 232 wahrhaft göttlich. Denn alle Siebzig hatten dieselben Texte mit denselben Ausdrücken und denselben Worten von Anfang bis zum Schlüsse wiedergegeben, so daß selbst die anwesenden Heiden erkannten, daß die Bücher unter göttlicher Eingebung übersetzt worden seien. Daß Gott solches gewirkt, ist nicht auffallend. Denn als während der Gefangenschaft des (jüdischen) Volkes unter Nabuchodonosor die Bibel vernichtet worden war und die Juden nach siebzig Jahren in ihre Heimat zurückkehrten, schrieb der Priester Esdras aus dem Stamme Levi in der Zeit des Perserkönigs Artaxerxes unter göttlicher Inspiration alle Worte der früheren Propheten von neuem nieder und stellte so dem Volke das mosaische Gesetz wieder her.“ Soweit Irenäus.
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III 3 (S. 101—102). ↩
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III 1, 1 ↩
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Offenb. 13, 18. ↩
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V 30,1. ↩
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V 30, 3. ↩
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Vgl. oben III 18 (S. 123). ↩
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1 Joh. 2, 18—22 wird in III 16, 5 und 1 Joh. 4, 1—3 und 5, 1 in III 16, 8 zitiert. ↩
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1 Petr. 1, 8 wird in IV 9, 2 und V 7, 2 und 1 Petr. 2, 16 in IV 16, 5 zitiert. ↩
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IV 20, 2. ↩
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Hermas, Mand. 1. ↩
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IV 38, 3. ↩
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Vgl. Weish. 6, 20. ↩
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IV 27, 1. 2; 28, 1; 30, 1; 31, 1; 32, 1. ↩
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IV 6, 2; V 26, 2; 28, 4. ↩
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I 27, 4. ↩
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III 21, 1. ↩
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Is. 7, 14. ↩
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III 21, 2. ↩
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Nach dem sog. Aristeasbrief (Kautzsch, Die Apokryphen und Pseudopigraphen des Alten Testamentes“ II S. 1 bis 31) ließ Ptolemäus Philadelphus (286—247 v. Chr.) auf Veranlassung seines Bibliothekars Demetrius durch 72 aus Jerusalem nach Alexandrien berufene jüdische Gelehrte den hebräischen Pentateuch ins Griechische übersetzen. ↩