28. Kap. Die ersten Anhänger der Irrlehre des Artemon, ihr Charakter und ihre Fälschung der heiligen Schriften.
Einer dieser Männer verfaßte gegen die Häresie des Artemon, welche in unserer Zeit Paulus von Samosata zu erneuern suchte, eine Schrift,1 in der eine Erzählung überliefert wird, die für unser Thema von Bedeutung ist. Die Schrift weist nach, daß die erwähnte Häresie, welche lehrt, der Erlöser sei ein bloßer Mensch gewesen, erst vor kurzem entstanden ist, während ihre Stifter ihr ein hohes Alter nachrühmen wollten. Nachdem sie zur Widerlegung ihrer infamen Lüge verschiedenes andere vorgebracht, erzählt sie wörtlich: „Sie behaupten nämlich, daß alle früheren Christen und auch die Apostel das empfangen und gelehrt hätten, was (die Häretiker) nun lehren, und daß bis zur Zeit Viktors, der nach Petrus der 13. Bischof in Rom war, die wahre S. 258 Lehre sich unverfälscht erhalten habe. Erst von dessen Nachfolger Zephyrin an sei die Wahrheit verfälscht worden. Diese Behauptung könnte man vielleicht noch glauben, wenn nicht schon die göttlichen Schriften ihr entgegenstünden. Es existieren aber auch noch Schriften von Brüdern, welche über die Zeit Viktors hinaufreichen und die diese sowohl gegen die Heiden als auch gegen die damaligen Häresien zugunsten der Wahrheit geschrieben haben. Ich meine die Schriften von Justin, Miltiades, Tatian, Klemens und vielen anderen, worin überall die Gottheit Christi gelehrt wird. Wer kennt nicht die Schriften des Irenäus, Melito und der übrigen, welche verkünden, daß Christus Gott und Mensch ist? Wie viele Psalmen und Lieder, die von Anfang an von gläubigen Brüdern geschrieben wurden, besingen Christus als das Wort Gottes und verkünden seine Gottheit! Da nun seit so vielen Jahren die kirchliche Lehre verkündet wurde, wie kann man da annehmen, daß man bis Viktor im Sinne der Häretiker gelehrt habe? Schämen sie sich denn nicht, solche Lügen gegen Viktor auszusagen, der doch, wie sie genau wissen, den Schuster Theodot, den Urheber und Vater dieser abtrünnigen, Gott leugnenden Bewegung, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen hatte, weil er als erster Christus einen bloßen Menschen nannte? Hatte Viktor, wie sie vorgeben, ihrer gotteslästerlichen Lehre entsprechend gedacht, wie hätte er Theodot, den Urheber dieser Häresie, exkommunizieren können?“ Soviel über Viktor. Nachdem dieser zehn Jahre regiert hatte, wurde Zephyrin etwa im zehnten Jahre der Regierung des Severus sein Nachfolger. Der Verfasser des erwähnten Buches über den Urheber der genannten Häresie gibt auch noch einen Bericht über ein Ereignis unter Zephyrin. Er schreibt wörtlich: „Ich will nun viele meiner Brüder an ein bei uns vorgefallenes Ereignis erinnern, von welchem ich glaube, daß es, wenn es in Sodoma geschehen wäre, selbst dessen Bewohner verwarnt hätte. Es lebte, nicht S. 259 vor langer Zeit, sondern in unseren Tagen ein Bekenner Natalius.2 Dieser hatte sich einst von Asklepiodot und einem anderen Manne namens Theodot, einem Geldwechsler, verführen lassen. Diese beiden aber waren Schüler des Schusters Theodot, welcher von Viktor, der, wie gesagt, damals Bischof war, dieser Meinung oder vielmehr dieser Torheit wegen als erster von der Gemeinschaft ausgeschlossen wurde. Sie überredeten Natalius, daß er sich gegen Besoldung von monatlich 170 Denaren zum Bischof dieser Häresie ernennen lasse. Nachdem er sich so ihnen angeschlossen hatte, wurde er wiederholt vom Herrn in Gesichten gewarnt. Denn unser gütiger Gott und Herr Jesus Christus wollte nicht, daß ein Zeuge seiner eigenen Leiden außerhalb der Kirche lebe und zugrunde gehe. Da Natalius, durch die Würde des Vorsitzenden und durch die die meisten verderbende Gewinnsucht berückt, jene Gesichte wenig beachtete, wurde er schließlich von heiligen Engeln die ganze Nacht hindurch gegeißelt und heftig gepeinigt, so daß er sich, als er am Morgen aufgestanden war, mit einem Sacke bekleidet und mit Asche bestreut, eiligst unter Tränen dem Bischof Zephyrin zu Füßen warf. Nicht nur vor dem Klerus, sondern auch vor den Laien fiel er nieder und erweichte durch seine Tränen die gütige Kirche des barmherzigen Christus. Nach vielen Bitten und nach Vorzeigung der Striemen, welche ihm die Geißelung verursacht hatte, wurde er unter sorgfältiger Prüfung in die Gemeinschaft aufgenommen.“ Diesen Worten wollen wir noch andere Bemerkungen des gleichen Schriftstellers über dieselben Häretiker beifügen. Sie lauten: „Sie haben die göttlichen Schriften ohne Scheu verfälscht, die Richtschnur des alten Glaubens aufgehoben und Christus verleugnet. Sie fragen nicht, was die heiligen S. 260 Schriften sagen, sondern mühen sich eifrig ab, logische Schlüsse zu finden, um ihre Gottlosigkeit zu begründen. Wenn ihnen jemand ein Wort der göttlichen Schrift vorhält, dann forschen sie darüber, ob dasselbe gestatte, den konjunktiven oder den disjunktiven Schluß anzuwenden. Unter Verachtung der heiligen Schriften Gottes beschäftigen sie sich mit Geometrie; denn sie sind Erdenmenschen, sie reden irdisch und kennen den nicht, der von oben kommt. Eifrig studieren sie die Geometrie Euklids. Sie bewundern Aristoteles und Theophrast. Galen gar wird von einigen billig angebetet. Soll ich es noch eigens vermerken, daß die, welche die Wissenschaften der Ungläubigen brauchen, um ihre Häresie zu beweisen, und den kindlichen Glauben der göttlichen Schriften mit der Schlauheit der Gottlosen fälschen, mit dem Glauben nichts zu tun haben? Und so legten sie an die göttlichen Schriften keck ihre Hände und gaben vor, sie hätten dieselben verbessert. Daß ich hiermit nicht falsch über sie berichte, davon kann sich jeder, der will, überzeugen. Wenn nämlich jemand die Abschriften eines jeden von ihnen sammeln und miteinander vergleichen wollte, würde er finden, daß sie vielfach nicht übereinstimmen. So stehen die Abschriften des Asklepiades nicht im Einklang mit denen des Theodot. Zahlreich sind die Beispiele, die sich aufweisen lassen; denn ihre Schüler haben mit großem Fleiß das aufgeschrieben, was jeder von ihnen, wie sie selbst sagen, verbessert, in der Tat aber verfälscht hatte. Mit diesen Abschriften stimmen wiederum nicht überein die des Hermophilus. Ja die Abschriften des Apolloniades stimmen nicht einmal unter sich selbst überein. Man darf nur die früher hergestellten mit denen vergleichen, welche sie später umgemodelt haben, und man wird finden, daß sie stark voneinander abweichen. Wie vermessen ein solches Vergehen ist, müssen sie wohl auch selbst erkennen. Entweder glauben sie nicht, daß die göttlichen Schriften vom Heiligen Geiste diktiert sind, entweder sind sie also S. 261 ungläubig oder sie halten sich selbst für weiser als den Heiligem Geist. Und was bedeutet dies anders denn Verrücktheit? Sie können nämlich nicht leugnen, daß diese Verwegenheit ihre eigene Tat ist, da ja die Abschriften von ihrer Hand gefertigt sind. Von ihren (christlichen) Lehrern haben sie solche Schriften nicht erhalten und sie können keine Abschriften vorweisen, die die Vorlage für ihre Texte bildeten. Einige von ihnen haben sich nicht einmal bemüht, die Schriften zu fälschen, sondern haben kurzweg das Gesetz und die Propheten geleugnet und sind unter dem Vorwand, für die Gnade einzutreten, durch ihre gesetzlose und gottlose Lehre in den tiefsten Abgrund des Verderbens gestürzt worden.“ Soviel hierüber. S. 262
Der Verfasser dieser Schrift gegen die Häresien des Artemon ist Hippolyt. Die Schrift ist identisch mit der von Theodoret von Cyrus (haeret. fab. 2, 5) erwähnten Schrift „Das kleine Labyrinth“. ↩
H. Dessau, „Minucius Felix und Caecilius Natalis“ (in Hermes 40, 1905) vermutet, daß der von Eusebius erwähnte Natalius identisch sei mit dem aus dem „Octavius“ bekannten Freunde des Minucius, Caecilius Natalis aus Cirta (S. 379ff.). ↩
