9. Kap. Die Wunder des Narcissus.
Neben vielen anderen auffallenden Dingen, die die Bürger jener Gemeinde auf Grund einer durch die Brüder von Mund zu Mund fortgepflanzten Überlieferung von diesem Narcissus erzählen, berichten sie auch das folgende von ihm gewirkte Wunder. Einmal soll den Diakonen während der großen österlichen Nachtfeier das Öl ausgegangen sein. Da das ganze Volk deswegen von großer Trauer erfaßt wurde, habe Narcissus denen, welche für das Licht zu sorgen hatten, befohlen, Wasser zu schöpfen und es ihm zu bringen. Dieser Be- S. 274 fehl wurde sofort ausgeführt Narcissus aber gab, nachdem er über das Wasser gebetet hatte, im festen Vertrauen auf den Herrn die Anweisung, es in die Lampen zu gießen. Als auch dies geschehen war, soll sich wider alle Erwartung durch ein göttliches Wunder die Natur des Wassers in die des Öles verwandelt haben. Noch heute sollen sehr viele der dortigen Brüder ein bißchen von diesem Öle als kleinen Beweis des damaligen Wunders aufbewahren. Noch sehr viele andere erwähnenswerte Ereignisse erzählen sie aus dem Leben dieses Mannes, darunter folgende Geschichte. Da einige nichtswürdige Leute sein gesetztes, charaktervolles Wesen nicht leiden konnten, schmiedeten sie aus Furcht, sie möchten wegen der unzähligen Missetaten, deren sie sich bewußt waren, verhaftet und bestraft werden, gegen ihn einen Anschlag, um ihm zuvorzukommen, und streuten eine schlimme Verleumdung gegen ihn aus. Sodann bekräftigten sie, um sich bei denen, die davon hörten, Glauben zu verschaffen, ihre Beschuldigung mit Eiden. Der eine von ihnen schwur (zur Bekräftigung), er wolle durch Feuer umkommen; ein anderer, sein Körper möge von abscheulicher Krankheit zerfressen werden; ein dritter, er möge des Augenlichtes beraubt werden. Allein trotz ihrer Schwüre schenkte ihnen keiner der Gläubigen Aufmerksamkeit, weil die Enthaltsamkeit und der tugendhafte Wandel des Narcissus von jeher vor aller Augen glänzte. Da aber Narcissus die Gemeinheit dieser Aussagen nicht ertragen konnte und übrigens schon längst ein mönchisches Leben führte, verließ er die ganze kirchliche Gemeinde und verbrachte viele Jahre in Verborgenheit in wüsten und entlegenen Gegenden. Jedoch das große Auge der Gerechtigkeit schaute diesen Vorgängen nicht ruhig zu und bestrafte gar schnell die Gottlosen mit den Verwünschungen, an welche sie sich durch die Eide gebunden hatten. Der erste von ihnen verbrannte mit seiner ganzen Familie, als ein kleiner Funke zufällig ohne alles Zutun auf das Haus S. 275 fiel, in welchem er wohnte, und es nachts vollständig in Asche legte. Der zweite wurde plötzlich von der Fußsohle bis zum Kopfe von der Krankheit befallen, die er sich selbst bestimmt hatte. Als der dritte das Schicksal der anderen sah und vor dem unentrinnbaren Gerichte des allwissenden Gottes zitterte, bekannte er zwar vor allen die Sünde, die er gemeinsam mit jenen begangen hatte, härmte sich aber in Reueschmerz so sehr ab und weinte unablässig so viel, daß er beide Augen verlor. In solcher Weise wurden diese Männer für ihre Lügen bestraft.
