8. Kap. Die folgenden Ereignisse: Hunger, Pest und Kriege.
Die gewöhnlichen Regen und Wolkengüsse fielen zur Winterszeit nicht mehr in gewohnter Menge zur Erde. Unerwartete Hungersnot brach aus, dazu die Pest und als Beigabe noch eine andere Krankheit. Sie bestand in einem Geschwüre, das von seinem feuerartigen Charakter den Namen hat und „Kohle“ genannt wird. Dieses Geschwür breitete sich nach und nach über den ganzen Körper aus und versetzte die Kranken in ernstliche Gefahr. Insbesondere ergriff es die Augen in bösartiger Weise, so daß zahllose Männer, Weiber und Kinder erblindeten. Zu diesen Leiden kam für den Tyrannen noch der Krieg mit den Armeniern,1 die seit alten Zeiten Freunde und Bundesgenossen der Römer gewesen. Da sie aber ebenfalls Christen waren und Gott mit Eifer verehrten, hatte der Gotteshasser sie zu zwingen versucht, daß sie den Götzen und Dämonen opferten, und sie so aus Freunden zu Feinden, aus Bundesgenossen zu Gegnern gemacht. Alle diese Unglücksfälle, die plötzlich und zu ein und derselben Zeit eintraten, waren eine Kundgebung gegen den verwegenen Übermut des Tyrannen wider die Gottheit. Hatte er doch keck geprahlt, daß wegen seines Eifers für den Götzendienst und unserer Bedrängung seine Tage weder Hungersnot, noch Pest, noch Krieg heimsuchten.
Diese zumal und gleichzeitig ausbrechenden Leiden bildeten das Vorspiel zu seinem Untergang. Er selbst unterlag mit seinem Heere im Kriege gegen die Armenier, während die übrigen Bewohner der ihm untergebenen Städte von Hunger und Pest zugleich in er- S. 420 schreckender Weise zerrieben wurden. Für ein Maß Weizen zahlte man 2500 attische Drachmen, Tausende waren es, die in den Städten, und noch größer war die Zahl derer, die auf dem Lande und in den Dörfern dahinstarben. Die Folge hiervon war, daß die Steuerlisten, die ehedem eine zahlreiche ländliche Bevölkerung aufwiesen, nunmehr fast völliger Tilgung verfielen, da zufolge des Mangels an Lebensmitteln und der Seuche fast alle Bewohner zu gleicher Zeit zugrundegingen. Manche gaben unbedenklich gegen ein Stückchen Brot ihr Teuerstes an die Vermöglicheren preis. Andere verkauften nach und nach ihren Besitz und gerieten so in äußerste Not. Es gab Leute, die Futterabfälle verzehrten und, ohne zu überlegen, schädliche Kräuter aßen, die ihre Gesundheit zerstörten und den Tod zur Folge hatten. Edelgeborene Frauen in den Städten gingen, von der Not zu diesem erniedrigenden Schritt getrieben, auf den öffentlichen Plätzen betteln. Nur die Schamröte im Gesichte und die vornehme Kleidung verrieten noch ihre frühere freie Stellung. Mit dem Tode ringend und abgezehrt, wankten und schwankten Menschen wie Gespenster dahin und dorthin und brachen, außerstande, sich aufrecht zu halten, mitten auf den Straßen zusammen und flehten, am Boden hingestreckt, um einen Bissen Brot, noch in den letzten Zügen „Hunger!“ rufend. Nur zu diesem schmerzlichen Klageruf reichte noch die Kraft. Andere aber, die zu den Wohlhabenderen zu gehören schienen und bereits reichlich Almosen gespendet, wurden schließlich über die Masse der Bettler aufgebracht, hart und unbarmherzig. Denn sie mußten gewärtigen, daß ihnen über kurz oder lang dasselbe Schicksal wie diesen beschieden sein werde. Mitten auf öffentlichen Plätzen und in Gassen lagen so entblößte Leichname tagelang unbeerdigt da, einen höchst traurigen Anblick bietend denen, die es sahen. Manche davon wurden sogar Hunden zum Fraße. Darum begannen die Lebenden, die Hunde zu töten, in der Befürchtung, diese S. 421 könnten, in ihrer Gier aufgepeitscht, überhaupt zu Fressern von Menschenfleisch werden.
Vorzüglich aber war es die Pest, die ganze Familien dahinraffte, besonders da, wo der Hunger dank den Vorräten an Lebensmitteln sein Zerstörungswerk nicht auszuüben vermochte. Und so mußten Leute der wohlhabenden Kreise, Statthalter, Heerführer, Amts- und Würdenträger in großer Zahl, gleich als wären sie absichtlich vom Hunger der Pest überlassen worden, eines raschen und urplötzlichen Todes sterben. Alles war voll Wehklagen. Auf allen Gassen, Märkten und Straßen konnte man nichts anderes hören als Totenklagen mit den sie begleitenden Flöten und Klappern. So zog der Tod mit den erwähnten beiden Waffen, der Pest und dem Hunger, zu Felde und vernichtete in kurzer Zeit ganze Familien. Man konnte sogar sehen, daß zwei und drei Leichen in einem Trauerzuge zu Grabe getragen wurden.Das war der Lohn für den Übermut des Maximinus und für die Bittgesuche der Städte gegen uns. Da wurde auch die allseitige Dienstbereitschaft der Christen und ihre Frömmigkeit allen Heiden in deutlichen Zeichen offenbar. Denn sie waren die einzigen, die in den so großen Drangsalen ihr Mitgefühl und ihre Nächstenliebe durch die Tat kundgaben. Die einen widmeten sich Tag für Tag der Pflege der Sterbenden und ihrer Bestattung — es waren deren Tausende, um die sich niemand annehmen wollte —, andere versammelten die von Hunger Gequälten aus der ganzen Stadt an einem Orte und teilten Brot unter sie aus. Ihr Tun sprach sich bei allen Menschen herum, und man pries den Gott der Christen und bekannte, daß diese allein die wahrhaft Frommen und Gottesfürchtigen seien, da ihre Werke dies bewiesen. Nachdem so der große und himmlische Gott, der für die Christen streitet, durch die erwähnten Schicksalsschläge seinen Zorn und Unwillen wegen der Leiden, die man uns im Übermaß zugefügt, allen Menschen kund- S. 422 gegeben, da sandte er uns wiederum den milden und freundlichen Strahl seiner Fürsorge. Wie aus tiefer Finsternis ließ er uns in gar wunderbarer Weise das Licht des Friedens aus sich aufleuchten und machte allen Menschen offenbar, daß Gott selbst immer der Hüter unserer Geschicke war, sein Volk für eine Zeit wohl heimsuchend und durch Leiden zurechtweisend, nach genügsamer Züchtigung aber wieder gnädig und mild sich zeigend denen, die auf ihn ihre Hoffnung setzen.
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O. Seeck, „Geschichte des Untergangs der antiken Welt“ I4 (Stuttgart 1921) S. 138; Laqueur, S. 103—105. ↩