XX. Kapitel: Weitere Verse des Vergilius Maro über Christus und ihre Erklärung; in ihnen ist, wie sich zeigt, das Geheimnis nach Dichterart nur dunkel angegeben.
Inhaltsangabe:
1. Das allmähliche Wachsen der Früchte der göttlichen S. 254Lehre; die Niederlage der Schlange; die noch übrigen Spuren alten Unheils. 2. Die volle Entfaltung der Früchte.
Ewiges Leben gleich Gott wird er haben, zu schauen bekommen All die Helden bei ihm,1 und er wird selber erscheinen Sehnlichst erhofft und erwünscht seiner Heimat, den Seligen allen, Lenkend die Zügel der Welt mit der Kraft, die der Vater verliehen. Dir aber, Knabe, dir spendet die Erde die ersten der Gaben, Gerste und Zypergras, Kolokassen neben Akanthus 2 .
Bewunderungswürdig und mit aller Weisheit geschmückt ist in der Tat der Mann, der wohl die Grausamkeit der damaligen Zeiten kennt und darum sagt: Ziegen werden dir jetzt, o Knabe, aus strotzendem Euter Spenden von selber das Naß des herzerfreuenden Milchtranks, Nimmer müssen die Herden vor reißenden Löwen sich fürchten3 .
Wahr spricht er; denn der Glaube wird sich vor den Machthabern des kaiserlichen Hofes nicht mehr fürchten. Sprossen werden von selbst deine Windeln duftende Blumen, Giftige Schlangen verschwinden, es schwinden schädliche Gräser S. 255Und überall erblüht in den Tälern Assurs Amomum4
Nichts könnte man sagen, was wahrer wäre als dieses oder der Kraft des Erlösers angemessener; denn schon die Windeln des Gottes5 , die Kraft des Hl. Geistes, hat dem neuen Geschlecht gewissermaßen duftende Blumen gespendet. Die Schlange aber geht zugrunde und das Gift jener Schlange, die die ersten Menschen zuerst getauscht hat, da sie ihr Herz von der angeborenen Enthaltsamkeit6 zum Genuß sinnlicher Lüste verführte, damit sie das ihnen drohende Verderben erkennten. Weil nämlich vor der Herabkunft des Erlösers unbekannt war, daß es eine Unsterblichkeit der Gerechten gebe, waren die Seelen der Menschen, die sich auf keine gute Hoffnung stützen konnten, niedergeschmettert; als der Heiland aber gelitten hatte und der angenommene Leib auf eine Zeit aus der Gemeinschaft des Hl. Geistes geschieden war7 , wurde den Menschen die Möglichkeit der Auferstehung enthüllt, und wenn noch ein Makel von menschlichen Ungerechtigkeiten zurückgeblieben war, wurde er durch das hl. Bad ganz abgewaschen8 . Damals nun forderte der Heiland seine Jünger auf, guten Mutes zu sein und hieß sie aus seiner eigenen hehren und leuchtenden Auferstehung die Hoffnung auf Gleiches schöpfen. Mit Recht endete also alles giftige Gezücht; es endete aber auch der Tod und besiegelt ward die Auferstehung. Zugrunde ging aber auch das S. 256Geschlecht der Assyrier, was ein Grund zum Glauben an Gott wurde9 . Wenn aber der Dichter sagt, daß reichlich und überall Amomum wächst, will er damit die Menge der Gottesverehrer bezeichnen; denn diese sprießt empor wie aus einer Wurzel eine Menge von Zweigen voll duftender Blumen, reichlich vom Tau benetzt.
Gar geistreich aber, o weiser Dichter Maro, sagt auch, damit übereinstimmend, das Folgende: Alsbald wirst du erkennen, welch tapfere Taten die Helden Und welch mächtige Werke der höchste Vater vollbracht hat10 .
Mit den lobenswürdigen Taten der Helden bezeichnest du nämlich die Werke der gerechten Menschen und mit den mächtigen Taten des Vaters meinst du den Bau der Welt und ihre Einrichtung, die den ewigen Fortbestand verbürgt, vielleicht auch die Gesetze, die die gottgeliebte Kirche gebraucht, um ein Leben der Gerechtigkeit und Besonnenheit zu pflegen11 .
S. 257Wunderbar ist aber auch, wie das Leben zwischen dem guten und dem schlechten Zustande zur vollen Weihe an Gott emporgeführt wird, da es einen einmaligen plötzlichen Umschlag nicht wohl vertragen kann.
Erst nun erfreuten sich der gelblichen Halme die Felder; das heißt, man begann die Frucht des göttlichen Gesetzes zu genießen; An dem rötlichen Dorn gedieh die hängende Traube, was sich in dem gesetzlosen Leben nicht fand; Lieblicher Honig entfloß dem harten Stamme der Fichte12 .
Damit bezeichnet der Dichter die Torheit und den harten Sinn der damaligen Menschen, vielleicht aber lehrt er auch, daß die, welche um Gottes willen im Leiden sich üben, süße Frucht ihrer Standhaftigkeit ernten werden.
Gleichwohl bleibt manche Spur des früheren Frevels noch übrig: Über das Meer wird man zieh'n, die Städte mit Mauern umschließen Und umgrenzte Felder mit pflügenden Rindern bebauen. Dann wird wieder ein Tiphys ersteh'n, die thessalische Argo Wiederum sich erfreu'n ihrer Helden und auszieh'n Nochmals zum harten Kampf der Troer und Griechen Achilles13 .
S. 258Gut hast du das gesagt, o weisester Dichter; denn von der dichterischen Freiheit hast du Gebrauch gemacht, so weit es dir zustand; nicht war es dir ja gesetzt zu weissagen, da du kein Prophet warst. Es hat dich aber wohl auch die Gefahr abgehalten, die denen drohte, die den Glauben der Vorfahren als falsch erwiesen. Indem er so, ohne seine Sicherheit außer acht zu lassen oder sich Gefahren preiszugeben, nach Kräften die Wahrheit denen vorstellt, die sie zu verstehen vermögen, und auf die Burgen, die Schiffahrt und den Krieg die Schuld wälzt, was sich in der Tat auch jetzt noch im menschlichen Leben findet, weist er in Achill, der zum trojanischen Krieg auszieht, auf den Erlöser, in Troja aber auf den ganzen Erdkreis hin; denn es kämpfte der Erlöser gegen die feindliche Macht des Bösen, geschickt von seiner eigenen Vorsehung, wie auch durch den Auftrag seines großen Vaters. Was aber sagt darauf der Dichter?
Freust du, zum Mann erst gereift, der Frucht dich des männlichen Alters, d. h. wenn er zum Manne herangewachsen all die Leiden, die das menschliche Leben umdrängen, mit der Wurzel ausgerottet und die ganze Welt mit Frieden geziert hat14 ,
Dann braucht nicht mehr auf der See sich herumzuschlagen der Schiffer, Dann wird mit reichlichem Maß alles spenden die fruchtbare Erde Ganz von selbst, nicht besät, nicht gepflügt, und der Weinstock, er wird auch, Denk' ich, die Schneide der hurtigen Hippe nicht fürder vermissen. Sterbliche netzen nicht mehr die Wolle der Schafe; der Widder Wird da erstrahlen von selbst wie gebadet in tyrischer Farbe, S. 259Tauschend die schmutzige Woll’ mit der leuchtenden Farbe des Mennigs. Wohl denn, schicke dich an zu empfangen das Szepter der Herrschaft Aus des Allmächtigen Hand, deines donnergewaltigen Vaters! Schaue, wie fest steht der Grund des unermeßlichen Weltalls Und wie Erde und Meer und Himmel und alles sich freuet, Und wie vor Wonne erbebt das Herz der ewigen Zeiten! Möge mir Leben und Kraft bis zum spätesten Alter verbleiben, Dass ich, soweit ich's vermag, deine herrlichen Taten besinge. Dann besieget im Lied mich nicht der thrakische Sänger, Linus nicht, auch nicht Pan, Arkadiens Feldern entsprossen, Pan selbst ränge dann nicht mit mir um die Palme des Sieges.15 .
Schaue, sagt er, des unermeßlichen Weltalls und aller Elemente Freude!
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nämlich die Gerechten ↩
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Ekl. 4, 15—20: Doch er wird göttliches Leben empfangen, wird die Heroen bei den Göttern sitzen sehen und unter ihnen selbst erscheinen und mit des Vaters Kraft die gebändigte Welt beherrschen. Dir aber, Knabe, wird unbebaut die Erde als erste Gaben wildrankenden Efeu und Baldrian und Kränze aus Wasserrosen und lachenden Akanthus streuen. ↩
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Ekl. 4, 21 f.: Von selber werden die Ziegen milchstrotzend ihr Euter heimwärts tragen und vor dem gewaltigen Leu wird sich kein Rind mehr fürchten. — Furchtlos werden die Ziegen heimkommen [in den Palast] und wie die Binder den Löwen [Herrscher] nicht fürchten. ↩
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Ekl. 4, 23—25: Die Wiege selbst wird dich auf süßen Blumen betten, sterben wird die Schlange, sterben das tückische Giftkraut, überall wird Assurs Balsam sprießen. ↩
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Die Windeln sind unpassend gesetzt für cunabula [Wiege], das von Konstantin im Sinne von Geburt genommen wurde; darum konnte dafür die Kraft des Hl. Geistes [Luk. 1, 35] eingesetzt werden, der die Geburt bewirkte. — Im folgenden hat es wohl ursprünglich geheißen: Blumen des neuen Geschlechtes [== Gläubige]. ↩
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Im Text fehlt das Wort. ↩
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Natürlich ist die Ausdrucksweise keineswegs korrekt. ↩
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Bedeutsam ist, daß hier die Notwendigkeit der Taufe hervorgehoben wird, obgleich es in der Rede sichtlich vermieden ist, christliche Gebräuche zu erwähnen ↩
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Konstantin hat die Verse Vergils: Occidet et serpens et fallax herba veneni - Occidet; Assyrium volgo nascetur amomum - falsch verstanden, da er das occidet des zweiten Verses zu Assyrium bezog. Da der griechische Übersetzer Vergil aber richtig las, paßt die Erklärung nicht zu seiner Übersetzung. — Die Erklärung, daß der Untergang Assyriens veranlaßt habe, an Gott zu glauben, ist sehr gezwungen; da aber die drei Verse Wort für Wort gedeutet werden, mußte auch auf Assyrien eingegangen werden, und die Stellung zwischen dem Untergang der Schlange und dem Erblühen des Christentums legte wohl den Gedanken nahe, daß der Untergang Assyriens [eigentlich Babylons], der schon im 17. Kap. als Strafgericht Gottes erwähnt ist, dazu beitrug, den Glauben an Gott zu fördern. ↩
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Ekl. 4, 26f.: Doch wenn du erst der Helden Ruhm [laudes, wörtlich Lob] und des Vaters Taten lesen und erkennen kannst, was Mannestugend ist, dann .... — Der mit simul eingeleitete Vordersatz ist als Hauptsatz genommen worden. ↩
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Wie Konstantin namentlich in seinem Brief an die östlichen Provinzen [Leben Konstantins II 57] betont, ist das Christentum keine neue Lehre; die Gesetze hat Gott den Menschen schon bei ihrer Erschaffung gegeben. ↩
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Ekl. 4, 28—30: Dann wird sich mählich das Feld von wogenden Ähren gilben, an ungepflegtem Stock wird rot die Traube hängen und die knorrige Eiche wird träufelnden Honig schwitzen. ↩
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Ekl. 5, 31 — 36: Freilich wird in manchen Spuren sich noch die alte Bosheit zeigen: mit Schiffen wird sie euch die See versuchen, mit Mauern euere Städte zu umschanzen, mit Furchen in das Land zu schneiden heißen. Ein zweiter Tiphys wird hierauf erscheinen, eine zweite Argo auserwählte Helden fahren; auch neue Kriege werden sein und wiederum wird gegen Troja ein großer Achill gesandt. ↩
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Daß dies geschehen wird, haben die vorausgehenden Verse gezeigt. Im Folgenden ist wohl das eingangs angekündigte Zeitalter des Saturn geschildert, das Glüok der chiliastischen Herrschaft Christi. ↩
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Ekl. 37—45; 48—59: Wenn dann das gekräftigte Alter dich schon zum Manne gemacht, wird selbst der Kaufmann vom Meere lassen, wird die befrachtete Planke nicht mehr Waren tauschen; überall wird alles wachsen auf Erden. Nicht mehr wird der Acker den Karst erdulden müssen; nicht mehr der Weinstock die Hippe; auch der stämmige Pflüger wird nun die Stiere vom Joch erlösen; nicht mehr wird sich die Wolle bemühen, bunte Farben vorzutäuschen, selber wird sich im Klee der Widder das Fell bald mit des Purpurs lieblichem Rot, bald mit dem Gold des Safrans färben; von selber wird Mennig die weidenden Lämmer kleiden. [„Solche Zeiten spinnt uns in euerem Umlauf“, geboten einst einträchtig die Parzen ihren Spindeln nach des Schicksals unerschütterlichem Machtspruch:] o so nimm auf dich — gleich wird die richtige Zeit gekommen sein — die hohe Sendung, du teurer Göttersproß, du großer Sohn des Zeus! Schau hin, schau hin, wie wankend unter seiner Wucht das Weltenrund, die Länder und des Meeres Räume und des Himmels Tiefen, wie alle sich des kommenden Jahrhunderts freuen! O möchte mir dann lang des Lebens Abend währen und ein Geist, der ausreicht, deine Taten zu besingen! Nicht soll mich im Gesang der Thrazier Orpheus besiegen, nicht Linos, mag immer dem einen die Mutter, dem andern der Vater helfen, dem Orpheus Kalliopea, dem Linos der schöne Apoll! Selbst Pan soll, wenn er vor Arkadiens Richterstuhl mit mir sich mißt, selbst Pan soll, wenn Arkadien entscheidet, sich als besiegt erklären ↩