1. Leben des hl. Cyrillus 1.
S. 1 Über die Jugendzeit des hl. Cyrillus haben wir keine Nachrichten. Nach der Chronik des Eusebius (-Hieronymus)2 empfing er die Priesterweihe von Bischof Maximus II. von Jerusalem. Als Priester hielt er die Homilia in paralyticum3. Als Cyrillus seine Katechesen vortrug, d. i. — wie wir im nächsten Kapitel beweisen werden — im Jahre 348, war er, wie anzunehmen ist, bereits Bischof. Denn in damaliger Zeit war es noch Regel, daß der Bischof selbst die katechetischen Vorträge an die Taufkandidaten hielt. Übrigens war Cyrillus nicht bloß Katechet, er versah zu gleicher Zeit auch, wie sich aus Katechese 10, 14; 14, 24 ergibt, das eben dem Bischof zukommende Amt eines ordentlichen Predigers. Dafür, daß Cyrillus als Bischof die Katechesen vorgetragen hatte, spricht auch Prokatechese 4, wonach er selbst über die Aufnahme unter die Zahl der Taufkandidaten entschied, auch sein sonstiges autoritätvolles Auftreten, ganz besonders aber der Umstand, daß er nirgends, nicht einmal in der mystagogischen Katechese 5, 8, wo man es vor allem erwarten sollte, des Bischofs gedenkt, was er kaum hätte unterlassen können, wenn er nicht selbst der Bischof gewesen wäre. Da nun nach der Chronik des Eusebius4 der Tod von Cyrills S. 2 Vorgänger Maximus in das elfte Regierungsjahr des Kaisers Konstantius fiel, also zwischen Mai 347 und Mai 348, ist die Erhebung Cyrills auf den Bischofstuhl in den Anfang, d. i. noch vor die Fastenzeit des Jahres 348, zu verlegen. Wenn Hieronymus5 von Cyrillus schreibt: „catecheses . . . . in adolescentia composuit“, so kann daraus nur geschlossen werden, daß Cyrillus, als er seine Katechesen hielt, bzw. als er Bischof wurde, noch nicht mehr als vierzig Jahre zählte. Trotz gegenteiliger Berichte des Sokrates6 und Sozomenus7, welche offenbar dem Cyrillus ungünstig gesinnt waren und ihn als Arianer betrachteten, wurde dieser rechtmäßig und erst nach dem Tode des Bischofs Maximus auf den Patriarchalstuhl zu Jerusalem erhoben. Die Rechtmäßigkeit von Cyrills Ordination wie auch seine orthodoxe Gesinnung ist außer Zweifel gesetzt durch eine Erklärung einer im Jahre 382 zu Konstantinopel gehaltenen Synode. In einem Schreiben dieser Synode an Papst Damasus, den Erzbischof Ambrosius und die übrigen zu Rom versammelten Bischöfe heißt es nämlich: „Wir machen bekannt, daß der Bischof der Kirche zu Jerusalem, der Mutter aller Kirchen, der ehrwürdige und gottgeliebte Cyrillus sei, welcher einst von den Bischöfen der Provinz kanonisch geweiht wurde und an verschiedenen Orten vieles im Kampfe gegen die Arianer erduldete“8. Die Rechtgläubigkeit des neugeweihten Bischofs kann auch nicht etwa unter Hinweis darauf bestritten werden, daß er in den Katechesen bei Behandlung der christologischen Fragen sich nie des Wortes (ὁμοούσιος) [homoousios] bediente; denn aus der elften Katechese9 ergibt sich unzweifelhaft, daß er, trotzdem er diesem Terminus aus dem Wege geht, an die Wesensgleichheit des Vaters und des Sohnes glaubte und dieselbe lehrte.
In das Jahr 351 — nach A. Heisenberg10 in das S. 3 Jahr 357 — fällt die wunderbare Kreuzeserscheinung, über welche Cyrillus unmittelbar nach dem Ereignis in dem Briefe an Kaiser Konstantius11 berichtete: „Um die Zeit des heiligen Pfingstfestes, am 7. Mai, erschien um die dritte Stunde ein sehr großes Lichtkreuz am Himmel, über dem heiligen Golgatha und bis zum heiligen Ölberg ausgespannt. Es wurde nicht nur von dem einen oder andern, sondern von der ganzen Bevölkerung der Stadt gesehen. . . . Mehrere Stunden lang war es sichtbar. Es sandte Blitzstrahlen aus und übertraf den Glanz der Sonne. . . . Die ganze Stadt, von Furcht und von Freude zugleich ergriffen, strömte in die Kirche, Jünglinge und Greise, Männer und Weiber..., Einheimische und Fremdlinge, Christen und Heiden. Und alle brachen einmütig in das Lob Jesu aus . . .“12. Sozomenus13 gedenkt nicht nur dieser wunderbaren Kreuzeserscheinung, sondern erwähnt auch den Brief Cyrills an Kaiser Konstantius.
Ein Konflikt mit dem Metropolitanbischof Akacius von Cäsarea war der Anfang der langen Leidenszeit Cyrills. Der Grund des Konfliktes lag nicht nur darin, daß Cyrillus dem Akacius gegenüber den Vorrang, den das Konzil von Nicäa im siebten Kanon dem Bischofstuhl von Jerusalem zuerkannt hatte, betonte14. Der tiefste Grund des Gegensatzes waren wohl Glaubensdifferenzen. Während Akacius Arianer war, stand Cyrillus auf seite der Verteidiger der Wesensgleichheit von Vater und Sohn. Die Folge des Konfliktes war, daß Cyrillus im Jahre 357 von Akacius abgesetzt15 und aus Jerusalem vertrieben wurde16. Der Verbannte begab sich nach Tarsus zu Bischof Silvanus. Daselbst verwaltete er mit größtem Erfolg das Predigtamt. Seine Reden fanden hier solchen Beifall, daß Silvanus dem Ersuchen des Akacius, ihm das Predigen zu verbieten, S. 4 „aus Furcht vor dem Volke“ nicht nachzukommen wagte17. In die Zeit der Verbannung fiel Cyrills Teilnahme an einer Synode zu Melitine in Armenien, wo er energisch gegen arianische Beschlüsse protestierte18, ferner seine Teilnahme an der Synode zu Seleucia (Sept. und Okt. 359), wo er gemeinsam mit den Semiarianern und den Homousiasten die Akacianer bekämpfte. Da die Synode zu Seleucia über Akacius die Absetzung aussprach, ist anzunehmen, daß dieselbe andererseits Cyrillus wieder in sein Amt einsetzte. Diese Annahme wird bestätigt durch Hieronymus19.
Im Anschluß an eine arianische Synode zu Konstaninopel (Anfang 360) erwirkte Akacius, die Gunst des Kaisers Konstantius ausnützend, die abermalige Absetzung Cyrills20. An seiner Statt wurde Herennius Bischof von Jerusalem21. Cyrillus wanderte wiederum in die Verbannung, wohin, wissen wir nicht.
Nach dem Tode des Konstantius (3. Nov. 361) gab Kaiser Julian gleich bei seinem Regierungsantritt allen unter seinen Vorgängern exilierten Bischöfen die Erlaubnis, in ihre Diözesen zurückzukehren22. Damit war die zweite Verbannung unseres Heiligen beendet.
Als Julian — nicht lange vor seinem Tode — zum Kriege gegen die Perser auszog, erteilte er den Befehl zum Wiederaufbau des jerusalemischen Tempels und versprach, die Kosten aus dem Staatsschatze zu bestreiten. Bereits waren die Ruinen des alten Tempels abgetragen, der Boden aufgegraben, das Material in großer Menge herbeigeschafft, da, als am andern Tage der Bau beginnen sollte, sprach Cyrillus offen zu der Menge und wies darauf hin, daß nach Christi Verheißung kein Stein auf dem andern bleiben werde. Und tatsächlich zerstörte nachts ein großes Erdbeben das S. 5 kaum begonnene Werk samt den anliegenden Gebäuden und tötete viele Juden, und Feuerflammen verzehrten die Werkzeuge der Arbeiter23.
Unter das Konsulat des Lupicinus und Jovinus, d. i. in das Jahr 367 fällt die dritte Verbannung Cyrills24. Sie war die Folge eines Ediktes des Kaisers Valens, in welchem die Präfekten aufgefordert wurden, die unter Konstantius abgesetzten und unter Julian wieder an ihren Sitz zurückgekehrten Bischöfe zu vertreiben25. Über dieses letzte und längste Exil ist uns gar nichts Näheres überliefert. Wir wissen nur, daß Cyrillus bis zum Tode des Kaisers Valens das Brot der Verbannung aß, und daß er erst unter Gratian, welcher alle unter Valens vertriebenen Bischöfe zurückrief, im Jahre 378 nach Jerusalem zurückkehren durfte. Acht Jahre konnte sich nun Cyrillus des ununterbrochenen Besitzes seines Bistums erfreuen. Die Freude war allerdings mit manchen bitteren Sorgen vermischt, da die Kirche von Jerusalem infolge der langen Abwesenheit ihres rechtmäßigen Oberhirten sich in sehr traurigem Zustande befand.
Das wichtigste Faktum aus den letzten Lebensjahren Cyrills ist seine Teilnahme an dem zweiten allgemeinen Konzil, an dem von Kaiser Theodosius einberufenen Konzil von Konstantinopel im Jahre 381. Sokrates26 nennt ihn unter den hundertfünfzig orthodoxen Bischöfen an zweiter Stelle; Sozomenus27 rechnet ihn unter die Vorsitzenden. Jedenfalls spielte also Cyrillus eine bedeutende Rolle. Doch ist uns nirgends berichtet, inwiefern er sich an den Konzilsverhandlungen beteiligte.
Der Tod Cyrills fällt in das Jahr 386. Nach der griechischen Überlieferung starb er am 18. März.
Das Martyrologium Romanum schreibt über ihn u. a.: „ab Arianis multas fidei causa perpessus iniurias S. 6 et ab ecclesia sua saepe pulsus, tandem sanctitatis gloria clarus in pace quievit“. Die griechische und lateinische Kirche feiert ihn als Heiligen. Papst Leo XIII. hat ihn unter die Kirchenlehrer aufgenommen.
Außer den oben bereits angeführten Schriften Cyrills, nämlich der Homilia in paralyticum, den Katechesen, der Epistula ad Constantium, sind nur noch vier Homilienfragmente zu erwähnen28.
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Vgl. vor allem die Prolegomena, welche der Mauriner A. A. Touttêe seiner Ausgabe von Cyrills Werken vorausgeschickt hat, abgedruckt bei Migne, P. gr, S3, 31 ff. u. in der Cyrillusausgabe von Reischl-Rupp (1848, 1860) I. pag. XIII ff. Ganz von Touttée abhängig ist die Dissertation von G. Delacroix, S. Cyrille de Jérusalem, sa vie et ses oeuvres (Paris 1865). Eingehend unterrichtet Joh. Mader „Der heilige Cyrillus, Bischof von Jerusalem, in seinem Leben u. seinen Schriften" (Einsiedeln 1891). ↩
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Ausgabe von A. Schöne, II. (Berlin 1866) S. 194. ↩
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Migne, P. gr. 33, 1131—1154. Reischl-Rupp II. 405―427. ↩
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Schöne II, S. 194. ↩
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De viris ill. 112. ↩
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Historia eccles. 2, 38 (Migne, P. gr. 67, 324). ↩
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Historia eccles. 4, 20 (Migne, P. gr. 67, 1173). ↩
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Theodoret, Historia eccles. 5, 9 (Migne, P. gr. 82, 1217). ↩
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Vgl. Kap. 14, 16, 17, 18. ↩
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„Grabeskirche u. Apostelkirche, zwei Basiliken Konstantins“ (Lpz. 1908) I. 85 ff. ↩
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Migne 33, 1165―1176; Reischl-Rupp II. 434―441. ↩
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Kap. 4. ↩
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A. a. O. 4, 5. ↩
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Sozomenus, a. a. O. 4, 25; Theodoret, a. a. O. 2, 22. ↩
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Sozomenus, a. a. O. 4, 25. ↩
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Theodoret, a. a. O. 2, 22. ↩
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Theodoret, a. a. O. 2, 22. ↩
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Sozomenus, a. a. O. 4, 24. 25; Basilius, Epist. 263 (74), 3, (Migne 32, 980). ↩
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Eusebius, Chron. (Ausgabe von Schöne II, 194). ↩
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Sozomenus, a. a. O. 4, 25; Sokrates, a. a. O. 2, 42. ↩
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Sozomenus, a. a. O. 4, 30; Sokrates, a. a. O. 2, 45. ↩
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Sozomenus, a. a. O. 5, 5; Theodoret, a. a. O. 3, 2. ↩
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Sokrates, a. a. O. 3, 20; Rufinus, Hist. Eccles. 1, 37. 38; Sozomenus, a. a. O. 5, 22; Theodoret, a. a. O. 3, 15; Ammianus Marcellinus 21, 1. ↩
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Vgl. Sokrates, a. a. O. 4, 11. ↩
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Sozomenus, a. a. O. 6, 12. ↩
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5, 8. ↩
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7, 7. ↩
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Drei Fragmente sind abgedruckt bei Migne 33, 1181 bis 1182; Reischl-Rupp II, 442. Fr. Diekamp führt noch ein viertes Fragment an in „Doctrina Patrum de incarnatione Verbi“ (Münster i. W. 1907) S. 20. — Eine arabische „Homilie von Cyrillus, Bischof von Jerusalem, über die heilige Kreuzerfindung“ in der Münchener Staatsbibliothek ist, wie es scheint, noch nicht untersucht. ↩