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Denn ein zweifaches Erkennen, ein zweifaches Wissen unterscheidet die göttliche Schrift, ein praktisches und ein theoretisches. Damit ich aber aus Beispielen Analogien beibringe, um durch mehrere Argumente deinen und deiner Gesinnungsgenossen verirrten Sinn zu bekehren, so höre, was die Schrift über Adam sagt: „Sie waren nackt„, heißt es, „in dem Paradiese und erröteten nicht“1 . Dabei waren sie aber keineswegs blind und des Gesichtes beraubt. Denn hätten sie nicht gesehen, wie hätten sie dann bemerken können, „daß der Baum gut zum Essen und schön zum Anschauen sei„?2 „Und es nahm das Weib“, heißt es weiter, „und aß und gab ihrem Manne, welcher mit ihr war.„ Sie waren also nicht blind, sondern hatten die Augen offen. Obwohl sie aber nackt waren, so fühlten sie beim Anblick keine Scham, und weil sie nackt waren, erkannten sie sich. Sie erkannten sich aber nur der Wahrnehmung, nicht der Tat nach. Denn erst lange darnach, nachdem sie aus dem Paradies vertrieben worden waren, weil sie von der verbotenen Frucht gegessen, heißt es: „Adam erkannte sein Weib Eva.“ Wie ist nun das zu erklären? Doch so: Sie sahen einander, weil sie nackt waren, und sie erkannten einander dem Sehen nach, aber nicht der Tat nach. Die Schrift nennt nämlich auch die leibliche Veρbindung eine Erkennung. Es ist aber in ihrer Redeweise S. 39Erkennen und Erkennen zweierlei. So sagt sie denn an anderer Stelle: „Jakob erkannte sein Weib Lea und sie gebar„3 . Er hatte sie aber schon früher erkannt, hatte er ja doch mit ihr durch sieben Jahre die Schafe des Laban, ihres Vaters, geweidet! Allein diese Erkenntnis war nur vom Sehen und Verstehen, später aber erkannte er sie durch die Tat: „Und er erkannte Rachel, sein Weib.“ Anderswo aber lesen wir: „Es alterte David, und sie deckten ihn mit Kleidern zu, und er erwärmte sich nicht. Und sie sprachen zum König: Es möge eine schöne Jungfrau gesucht werden. Und es fand sich Abisag, die Sunamitin. Und sie wurde zum Könige gebracht, und sie schlief mit ihm und erwärmte ihn. Und David erkannte sie nicht„4 , da sie doch bei ihm war und an seiner Seite schlief. Von welcher Erkenntnis redet da wohl die Schrift, von der durch das Gesicht, oder meint sie das Erkennen durch die Tat? Und ähnlich: „Und es erkannte der Herr die Seinen“5 . Sollte er also die anderen nicht kennen? Und wieder: „Weichet von mir, ihr Übeltäter, denn niemals kannte ich euch„6 . Soll also der Sohn Gottes betreffs einiger unwissend sein? Und an anderer Stelle: „Euch kenne ich aus allen Völkern“7 . Kennt er mithin die anderen Völker nicht? Das sei ferne; sondern die göttliche Schrift unterscheidet ein zweifaches Erkennen: das eine besteht im Wissen, das andere in der Tat.